Glasnost in Akelsbarg: Ossi-Friesen nach Holland

Norddeich-Mole (taz) — Die Ostfriesen lebten bisher paradoxerweise im äußersten Westen der Bundesrepublik. Das könnte sich jedoch bald ändern, wenn es nach dem Willen der friesischen Separatisten ginge, die partout einen Anschluß an Westfriesland, also Holland, wollen.

Der Grund für die Separationsgelüste der Ossi-Friesen: Sie fühlen sich stark vernachlässigt von der Bundesrepublik, erst recht seit der unseligen Wiedervereinigung und ganz besonders, seitdem bekannt wurde, daß Daimler-Benz, das heißt die AEG, ihre Produktionsstätten in Ostfriesland dichtmacht, gleichzeitig aber im neuen — wirklichen — Osten welche aufmacht. In Wilhelmshaven (das jetzt schon weit über 20 Prozent Arbeitslosigkeit hätte, würden nicht so viele Jugendliche zwar in Süddeutschland arbeiten, aber nach wie vor — am Wochenende — in ihrer Heimatstadt wohnen) verbleibt dann als einziger größerer Arbeitgeber nur noch die — allerdings expandierende — Künstlersozialversicherung (KSK). Und in Emden das Backstein- Kunstmuseum, das der ehemalige PK-Leutnant Henri Nannen mäzenatisch bestückte: mit den schlechtesten Bildern der berühmtesten Maler des 20. Jahrhunderts.

Das Marschland zwischen diesen beiden Großstädten Ostfrieslands erschließt sich einem auf der sogenannten „Störtebekerstraße“. Die seelische Landschaft seiner Bewohner über das Mithören der vielen friesischen Piratensender (nirgendwo sonst auf der Welt gibt es so viele schwarze Privatsender wie in Ostfriesland!). Und seit neuestem ist eine deutliche Politisierung dieser Ätherwellen hinter dem Deich zu verzeichnen. Sie geht jedoch nicht mehr von den freien Bauern aus („Lever doot als Sklav!“), sondern vor allem von den arbeitsfrei gesetzten Städtern in Varel, Zjetel, Wiesmoor, Wilhelmshaven, Wittmund und Jever... Dort heißt zum Beispiel die lokale Separatisten-Gruppe „Jever Heavy“ — in Anspielung an die neue opportunistische Biersorte der örtlichen Brauerei. Die „Heavys“, deren Treffpunkt ein Spielsalon in der Fußgängerzone ist, agitieren vorerst noch relativ friedlich für einen Anschluß Ostfrieslands an die Niederlande — mit Stickern, Graffitis, mehr oder weniger klandestinen Veranstaltungen und nächtlichen Vereinigungstreffen, auf denen man zusammen mit anderen friesischen Separatisten — aus Poghum, Heuharlingersiel und Aurich etwa — gemeinsame Strategien und Aktionen diskutiert. Danach geht dann aber auch schon mal ein „Mercedes-Benziner“ mit Oldenburger Kennzeichen in Flammen auf, ein andermal zerbröselt es eine Trafo-Station des niedersächsischen Stromversorgers. Auch über die Perspektive macht man sich an den Stammtischen der unzähligen „Marschkrüge“ so seine Gedanken: Schon mehrmals kam es zu quasi offiziellen Verhandlungen mit holländischen Regierungsvertretern in Groningen, Hoogezand und Delfzijl, über die allerdings absolutes Stillschweigen vereinbart wurde. Und stillschweigen, das können sie, die Ostfriesen! Es ist aber klar: Von einem Anschluß an Holland verspricht man sich eine ännliche wirtschaftliche Prosperität wie sie in Westfriesland, auf der anderen Seite des Dollart, schon lange sichtbar ist. Warum soll so etwas nicht auch für Ostfriesland möglich sein? Mindestens erhofft man sich von einem Erstarken des friesischen Separatismus ein gewisses Umdenken! Umlenken der Bonner Politik, das heißt eine größere Subventions-Entschlossenheit zugunsten dieser Küstenregion.

In Greetsiel an der Leybucht, wo die eine Hälfte am Tourismus verdient und die andere darunter leidet, organisierten die „Schwittersumer Sezessionisten“ Ende Oktober eine Tagung, auf der beschlossen wurde, für die Idee einer „friesische Finte“ genannten Selbstbestimmungspolitik fürderhin stärker unter den Bauern zu werben: Zum einen wird das Polderland immer noch sehr stark von ihnen geprägt (die friesische Kulturleistung besteht vor allem im Deichbau und in der Landgewinnung, weswegen dort auch der stumme Blick auf die tosende See eine ähnliche kathartische Wirkung zeitigt wie lautes Gebrabbel auf einer Couch — hier); und zum anderen könnten auch die Bauern bei einem Anschluß Ostfrieslands an die Region Groningen nur gewinnen — an öffentlicher Aufmerksamkeit und staatlichen Vergünstigungen.

Nicht zu vergessen: eine Verbesserung der Subversions-Logistik, wenn das eine oder andere ehemalige friesische Häuptlingsschloß — zwischen Waddewarden und Grotthusen — dabei quasi in die Hände der „Krummhörner Autonomen“ oder des „Harlinger Landsturms“ fiele. Diese, dem traditionell-politischen Links-Rechts-Schema abholden Aktionsgruppen, schrecken mittlerweile nicht einmal mehr vor einem Vergleich mit dem Kampf der Letten und Litauer zurück, ja sie haben sogar schon eigene Briefmarken entworfen. Jan Olenhusen