Debatte: Zitelmann contra Vinnai-betr.: "Das innere Ausland" (Vinnai), taz vom 27.11.91 und "Ausländerfeinde auf die Couch?" (Zitelmann), taz vom 29.11.91

betr.: „Das innere Ausland“ (Vinnai), taz vom 27.11.91, und „Ausländerfeinde auf die Couch?“ (Zitelmann), taz vom 29.11.91

Endlich ein entscheidender Fortschritt in der ansonsten mehr als traurigen Ausländerdebatte der taz! Nur ist es wieder mal bezeichnend, daß Denkansätze, die sich wunderbar ergänzen könnten, kontrovers diskutiert werden. Wenn Rainer Zitelmann seinen Artikel mit dem Satz „Gerhard Vinnais Thesen zur Sozialpsychologie der Fremdenfeindlichkeit sind ein trauriges Beispiel für die Dialogunfähigkeit vieler Linker...“ beginnt und dann die sogenannten Ausländerfreunde sinngemäß dazu auffordert, sich an die eigene Nase zu fassen, zeigt das in diesem Zusammenhang zunächst nicht nur seine eigene Dialogunfähigkeit. Statt auf Vinnais Thesen einzugehen, sieht er sich befleißigt, ihm einen intellektuellen Hahnenkampf zu liefern. Obwohl er genau die gleiche Thematik anspricht wie Vinnai, nämlich die Schwarz-Weiß-Malerei und Projektionen hüben wie drüben, ist er nicht in der Lage, dessen konstruktiven Denkansatz zu würdigen. Kein Wunder, daß er auf diese Weise — wie auf Seite 1 angekündigt — „schwarz“ sieht.

Da kommt doch die Urangst der „Linken“ vor der Auseinandersetzung mit eigenen seelischen Prozessen sehr deutlich zum Ausdruck. Natürlich hat er recht, wenn er auch „Ausländerfreunde“ des Projezierens bezichtigt. Würde allerdings die Idee des inneren „Auslands“ ohne Scheu vor „Psycho“ und „Couch“ gerade von den ansonsten so denkfreudigen „Linken“ positiv aufgegriffen werden, gäbe es vielleicht neue, ganz und gar kostenlose ökologische Reisemöglichkeiten und die abenteuerliche Entdeckung eines absoluten Neulandes.

Wenn Vinnai mit seiner dritten These „Die fremde Frau“ den vorsichtigen Ansatz bringt, Rassismus von Sexismus abzuleiten, kommt er lange verdrängten Wahrheiten schon entscheidend näher. Die Tatsache, daß dieses Argument von einem „Linken“ sofort wieder abgebügelt wird, zeigt deutlich, daß bislang sowohl die „Rechte“ als auch die „Linke“ nichts weiter sind als die zwei Seiten des Patriarchats.

Ich würde mir wünschen, die beiden Herren friedlich an einem Tisch sitzen zu sehen (sie brauchen sich ja nicht gleich zusammen auf die „Couch“ zu begeben) und aus ihren Artikeln eine Synthese zu entwickeln. Und wenn sie denn schon zusammen säßen, könnten sie ja gleich anschließend die Frage untersuchen, ob nicht Rassismus überhaupt erst entstehen konnte, als Männer sich das von Frauenkollektiven kultivierte Land gewaltsam aneigneten und beschlossen, die Erblinie fortan über die Väter zu definieren. Erst in diesem Moment mußten sowohl die Frauen als auch das Land vor „fremden“ Übergriffen „geschützt“ werden. Solange nämlich die Erblinie über die Mutter läuft und Frauen sich ihre Partner nach Lust und Laune aussuchen, kann es gar keinen Rassismus geben, keinen mit dem Tode oder sozialen und ökonomischen Sanktionen bestraften Ehebruch und selbstverständlich auch keine „Mischlinge“/Bastarde.

Diese These sehr genau zu untersuchen empfiehlt sich für die „Linke“ ganz besonders, denn die perfide Wirkung der faschistischen Ideologie beruht leider darauf, daß matriarchale Symbole und Riten von der brutalsten Art des Patriarchats mißbraucht werden und die gerade von der „Linken“ verdrängten und verleugneten Emotionen verführen. Erst wenn wir bereit sind, die seit langer Zeit verordnete Trennung zwischen Geist und Natur aufzuheben und ernsthaft daran zu gehen, das Patriarchat als solches in Frage zu stellen, werden wir in der Lage sein, Ursache und Wirkung von Faschismus und Rassismus wirklich zu durchschauen und wirksam zu bekämpfen.

Wir können in treudeutscher „Kollektivschuld“ den rassistischen Holocaust an den Juden solange umsonst bejammern, wie wir den nur 200 Jahre zurückliegenden bestialischen Mord an ca. neun Millionen Frauen verdrängen. Erst wenn „linke“ Männer bereit sind, sich ernsthaft auch mit diesem Thema auseinanderzusetzen, und es nicht in die „obskure“ Ecke der Frauenbelange abschieben, werden sie etwas in der Hand haben, das sie der Sehnsucht einfacherer Gemüter nach „Blut und Boden“ entgegensetzen können.

Ich stelle mich gern zur Verfügung, den beiden Herren in diese Richtung auf die Sprünge zu helfen. „Die fremde Frau“

Susanne Oppong, Hamburg

Es gibt Zeichen für mehr demokratisches Bewußtsein in der deutschen Geschichte. Wie sollte die Massendemonstration vom 9.11.91 gegen den deutschen Rassismus sonst verstanden werden? Wenn dort auch kaum „Spitzen“politikerInnen zu sehen waren, so doch 100.000 Menschen, die sich aufgeklärter und engagierter zeigten.

Immerhin, mit Engagement polemisiert auch Herr Zitelmann in seinem Kommentar „Ausländerfeinde auf die Couch?“. Allerdings nicht —wie es bei einem Wissenschaftler nahezuliegen scheint — mit eigenen Thesen zum Rassismus als Erwiderung gegen die Thesen von Gerhard Vinnai, sondern gegen die, die versuchen, Rassismus begreifbar zu machen.

Vinnai stellt die psychoanalytische Verdrängungs- und Projektionsthese zur „Fremdenfeindlichkeit“ vor, zeigt ihre strukturelle Nähe zum ausgrenzenden „Nationalismus“ auf und skizziert einen möglichen Zusammenhang mit „Sexismus“ beziehungsweise der Diskriminierung von „Juden, Homosexuellen, psychisch Kranken, also ,Abweichlern‘ aller Art“. Er bietet an, über ein Element des „Bellismus“, über das andere Staaten verdammende, aber die eigene Nation integrierende (deshalb negativ integrierende) „Feindbild“ nachzudenken, denn mit dem Zusammenbruch des „Reich des Bösen“ ist dies gegenwärtig unklar. Und Vinnai erwähnt soziale Mißstände, deren tatsächliche politische Ursachen von vielen nicht erkannt werden und deshalb viele auf die einfacheren rassistischen Stereotypen zurückgreifen lassen. Vinnai kritisiert aber auch „die Linke“, die die neue Chance vergibt, für eine Gesellschaft mit mehr Demokratie und Humanität zu arbeiten.

Aber was bietet Herr Zitelmann zum Dialog an: „Die Linke“ solle doch mit den „ausländerfeindlichen Gesprächspartnern“ reden. Bleibt die Frage, warum die „Töter“ von Mete Eksi, die Zuschauer von Hoyerswerda und viele andere sich nicht zum Dialog an den „Tisch“ setzen. Bleibt auch die Frage, worüber Herr Zitelmann eigentlich mit ihnen reden würde, denn zu den verschiedenen Entstehungsbedingungen und unterschiedlichen rassistischen Stufen der Ausgrenzung wußte er bisher nichts zu sagen. Vielleicht redet er dann über die „dialogunfähige Linke“.

Also, Herr Zitelmann, jetzt ohne engagierte Polemik meinerseits, ein neuer Versuch zum Dialog. Was sind Ihre Thesen zum Rassismus oder, wie Sie lieber sagen, zur „Ausländerfeindlichkeit“? Vielleicht engagieren Sie sich ganz ohne Honorar auf der Leserbriefseite oder, noch besser — anders —, für die aus deutschen Landen in die TU geflüchteten AusländerInnen. Vielleicht machen Sie sich erst eine Vorstellung von den Ängsten dieser vor Elend und Folter Asyl Suchenden. Dann erklären Sie die Angst eines Deutschen vor den AusländerInnen, zumal doch offensichtlich ist, daß diese nicht an deren Arbeitslosigkeit schuld sind.

Und um den „Selbsthaß der Linken“ brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen: Dazu liebt sie die Kritik am Alten für das Neue viel zu sehr, und nicht nur um ihrer selbst willen. Dieter Heger, (Ost-)Berlin

Die Argumentationsweise Zitelmanns in seiner Antwort auf Vinnais Thesen [...] kann man, nur wenig übertreibend, etwa folgendermaßen zusammenfassen:

1.Vinnai ist Intellektueller. Er ist (Sozial-)Psychologe. Er scheint ein Linker zu sein.

2.Viele Intellektuelle sind arrogant und selbstgerecht. Unter den Psychologen gibt es Therapeuten. Es gibt vor allem unter Linken krampfhafte „Fremdenfreunde“. Linke Autonome haben oft ein dogmatisches Weltbild.

3.Also ist Vinnai arrogant, will die Bevölkerung therapieren, ist krampfhaft fremdenfreundlich etc.

Na ja! Wenn's der Wahrheitsfindung dient (was ich bezweifle)...

Eine diskussionswürdige Frage wirft Zitelmannn immerhin auf: Gibt es tatsächlich reale Probleme, die hauptsächlich dadurch entstehen, daß Deutsche mit Ausländern und nicht nur mit Deutschen zusammenleben? Probleme also, die sich nicht nur prinzipiell von denen unterscheiden, die sich im Zusammenleben der Deutschen untereinander ergeben (was ja noch nicht so schlimm wäre: da müßte man einfach neue Verhaltensweisen lernen beziehungsweise dürfte erlernte ablegen), sondern die zusätzlich den Problemdruck, der auf einem Deutschen lastet, derart verstärken, daß er mit gewissem Recht sagen könnte, er hielte den Druck nun nicht mehr aus? Wäre dem so, und Zitelmann scheint diese Möglichkeit anzudeuten, dann griffen Vinnais Analysen tatsächlich zu kurz.

Aus meiner eigenen Erfahrung im Zusammenleben, -arbeiten und so weiter mit Ausländern kann ich diese These nur kategorisch verneinen. Womit ich allerdings nicht bezweifeln will, daß manche Deutsche einen solchen Druck tatsächlich empfinden. Aber damit wären wir ja schon wieder bei Vinnais Thesen beziehungsweise der Frage, warum sie das so empfinden, obwohl „real“ kein Anlaß dazu bestünde. Andreas Unger, (West-)Berlin