Wo das Wasser kostbarer ist als Öl

Die Verteilung der Wasserressourcen im Nahen Osten wird Eckpfeiler der Friedensgespräche  ■ VON WALTER SALLER

Es gibt kein reineres Bild für Erstarrung und Tod als die Wüste: ohne Wasser kein Leben. Seit biblischen Zeiten hat dieser einfache Zusammenhang die Beziehungen der Menschen im Trockengebiet Naher Osten geprägt. Wo Wasser knapp und die Wüste in greifbarer Nähe, ist dem lebensbedrohlichen Mangel entweder durch gewaltsame Aneignung der Wasservorräte, oder aber durch eine Politik komplizierter Wasserrechte und drakonischer Strafen für Wasserdiebe und Brunnenvergifter begegnet worden. Bis zum heutigen Tag hat sich daran nichts geändert.

„Nicht Öl, sondern Wasser dürfte in den kommenden zwei Jahrzehnten die entscheidende geopolitische Flüssigkeit im Nahen und Mittleren Osten sein“, weiß eine neuere US- Untersuchung des „Centre for Strategic & International Studies“. Eine düstere Prognose gaben auch jene Wasserexperten ab, die 1989 im Rahmen einer Konferenz der „UN Economic & Social Commission for West Asia (ESCWA)“ in Damaskus tagten: „Am Ende des 20.Jahrhunderts wird es in der Region ein jährliches Wasserdefizit von 100 Milliarden Kubikmeter geben.“ Die Bedrohung, die sich hinter dieser trockenen Zahl verbirgt, formuliert Elias Salameh, Leiter des hydrologischen Instituts der Universität im jordanischen Amman, so: „Der nächste Krieg in der arabischen Welt wird um's Wasser ausgefochten werden.“ Heute, so pflichtet ihm der israelische Wasserexperte Dan Zanuskovskij bei, „gibt es nur einen Grund, Krieg zu führen: Wasser.“ Etliche arabische Wortführer sind freilich der Meinung, Israel habe seinen Wasserkrieg längst geführt. Mit dem Sechstagekrieg von 1967, der mit der Besetzung von Westbank, Gazastreifen und Golanhöhen endete.

Alle Länder der Nahost-Region leiden — wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß — unter einem Mangel an Wasser. Im Durchschnitt fallen pro Jahr und Quadratmeter weniger als 100 Millimeter Regen. Viel zu wenig für kontinuierliche Landwirtschaft, die — darüber sind sich Agrarexperten einig — ein Minimum von 400 Millimetern Niederschlag pro Jahr erfordert. Nur in den Höhenlagen des Libanon, der Türkei und des Iran gehen jährlich respektable 1.000 Millimeter Feuchtigkeit in Form von Regen und Schnee nieder.

Im übrigen Nahen Osten aber zählt buchstäblich jeder Tropfen, wird von Jahr zu Jahr das Mißverhältnis zwischen steigendem Wasserverbrauch und schrumpfenden Reserven krasser. Bereits heute ist der Preis für Trinkwasser in manchen Staaten höher als der für Benzin. Darüber können auch die absonderlichen Wasservergeudungs-Projekte der reichen und superreichen Länder — Kunsteisbahnen in Bahrain, Rasenteppiche in Katar, israelische Schnittblumen und saudischer Weizen für den Export — nicht hinwegtäuschen. „Bei den Wasserpreisen“, witzeln Fachleute, „könnten die Saudis ihren Weizen auch mit Perrier bewässern.“ Der Preis für den Kubikmeter Wasser aus Meerwasser-Entsalzungsanlagen beläuft sich auf etwa 3,50 DM. Ein fürstlicher Preis, den sich folgerichtig auch nur Ölprinzen leisten können.

Da ein leerer Brunnen nicht vom Tau gefüllt wird, und Oberflächenwasser aufgrund der geringen Niederschläge kaum zur Verfügung steht, sind die ärmeren Staaten auf die beständig abnehmenden, fossilen Grundwasserreservoirs und die wenigen Steh- und Fließgewässer der Region angewiesen. Euphrat, Tigris und Jordan bestimmen daher wie in alten Zeiten das Schicksal von mehr als einem halben Dutzend Staaten.

Die Bedeutung eines jeden Tropfen Wassers hat zur Folge, daß im Nahen Osten jeder jeden verdächtigt, Grundwasser zu stehlen, Quellen abzugraben, Fließmengen von Flüssen durch Staudamm-Projekte gefährlich zu vermindern, ja ganze Flußläufe umzuleiten. Die Konfliktlinien verlaufen dabei quer durch alle politischen Bündnisse: Syrien und Israel, klagt man in Amman, stehlen Jordan-Wasser. Israel, so der palästinensische Standpunkt, pumpe den Großteil des Wassers unter der israelisch besetzten Westbank und dem Gazastreifen ab und verbrauche es zur Versorgung der jüdischen Bevölkerung. Syrien und Jordanien versuchen, so der israelische Vorwurf, Israel das Wasser durch den Al-Wahda-Damm am Jordan-Zufluß Yarmuk abzugraben. In Damaskus und Jerusalem wiederum befürchtet man durch den jordanischen Maqarin- Damm am Yarmuk entscheidende Wasserverluste.

Zahlen entscheiden, Zahlen beweisen, weiß eine alte Sentenz. Doch welche Zahl, wessen „Wahrheit“ ist gültig in diesem Geflecht wechselseitiger Interessen und beinahe täglich wechselnder Allianzen? Zudem ist der schon paranoide Grad an Geheimhaltung, mit dem alle betroffenen Staaten ihre hydrogeologischen und hydrologischen Gutachten und Statistiken umgeben, ein guter Grund, ihnen auch gründlich zu mißtrauen. Und so lassen sich nur einige Eckwerte der jeweiligen nationalen Wassersituation darstellen.

Israel nutzt heute praktisch alle möglichen Wasserreserven. Die Versorgung mit dem kostbaren Gut stützt sich dabei auf zwei Säulen: das Wasser, das — vor allem in Galiläa — als Regen vom Himmel fällt beziehungsweise aus dem See Genezareth entnommen wird und vier Grundwasserreservoirs, von denen nur eines — das Küstenreservoir — innerhalb der israelischen Grenzen von 1948 liegt. Die Überausbeutung dieser küstennahen Wasservorräte hat inzwischen zum Eindringen von Salzwasser aus dem Mittelmeer geführt — insbesondere entlang der Küste zum besetzten Gazastreifen. Die anderen drei Grundwasserbecken liegen zum größten Teil unter der ebenfalls israelisch besetzten Westbank. Gegenwärtig entnimmt Israel cirka 80 Prozent des Westbank-Wassers. Schon 1975 und 1976 ließ die israelische Militärregierung an allen arabischen Westbank-Brunnen und -Pumpen Metermesser anbringen, um den Wasserverbrauch streng zu rationieren. Neue Brunnenbohrungen dürfen nur mit behördlicher Genehmigung niedergebracht werden. Die aber wird arabischen Antragstellern so gut wie nie erteilt. In etlichen arabischen Dörfern vertrockneten Brunnen, nachdem in der Nähe ein israelischer Tiefbrunnen gebohrt wurde. Arabische Bauern und Stadtverwaltungen müssen ihr Wasser bei der israelischen Wassergesellschaft „Mekorot“ kaufen — zum Mehrfachen des Preises, der Israelis abverlangt wird. Nach einer Studie der Universität Pennsylvania verbraucht ein Siedler etwas das Vierfache an Wasser wie ein Palästinenser.

Mit der Annexion der Golanhöhen wurde Israel zum Yarmuk-Anrainer, und durch die De-facto-Besetzung des südlichen Libanon, wo die meisten Flüsse der Region ihren Ursprung haben, ist dem Land auch eine Kontrolle des oberen Jordan und des Litani-Flusses möglich. An dieser Besetzungs- und Sicherungspolitik der Israelis sind die arabischen Nachbarn indes keineswegs unschuldig. Bereits zu Regierungszeiten von Gamal Abdel Nasser wurde die Wasserfrage zum Instrument der Politik. Wenn die Juden schon nicht im Meer zu ersäufen seien, so die Spekulationen einiger arabischer Militärstrategen, könnte man doch wenigstens versuchen, sie durch Ab- und Umleitung des Jordanwassers auszutrocknen.

Insgesamt versorgt sich Israel heute zu etwa 40Prozent mit Wasser aus den besetzten Gebieten. Ebenso liefern der obere Jordan und der See Genezareth gut 40Prozent des israelischen Wasserbedarfs. Aus welchen Quellen der restliche Bedarf gedeckt wird, weiß niemand so ganz genau. Kein Zweifel aber besteht darüber, daß der Wasserbedarf wächst und wächst. Im Jahr 2000, so eine israelische Studie, werden dem Land mit zu diesem Zeitpunkt ungefähr fünfeinhalb Millionen EinwohnerInnen (ohne Westbank und Gazastreifen) 30Prozent seines Wasserbedarfs fehlen. Mit welchem Wasser die BewohnerInnen der Westbank dann ihren Durst stillen werden, bleibt ein Rätsel.

Ähnlich wie Israel nutzt auch Jordanien bereits alle vorhandenen Wasserressourcen, ohne aber — an europäischen Mindestmaßstäben gemessen — auch genügend Wasser für jeden der zweieinhalb Millionen BewohnerInnen fördern zu können. Das Wasser des Jordan, dessen Namen das Land trägt, ist für das Haschemiten-Reich als Trinkwasser unbrauchbar. Denn da, wo jordanische Gemeinden Trinkwasser entnehmen könnten, versalzen Mineralquellen den Fluß, dessen gesamte Wassermenge ohnehin gerade kümmerlichen zwei Prozent der Nilfluten entspricht. Die enormen Aufwendungen für Meerwasser-Entsalzungsanlagen kann sich das wirtschaftlich gebeutelte und seit dem jüngsten Golfkrieg ob seiner Parteinahme für Saddam Hussein von den reichen Ölmonarchen geschnittene Jordanien nicht leisten. Also bleiben nur der Yarmuk — nach europäischen Maßstäben kaum ein Bach —, einige größere Grundwasserpfützen und viel Gottvertrauen beim Warten auf Regen. Zwar wurde schon 1955 mit dem sogenannten Johnston-Plan, einem detaillierten, übernationalen Kontrakt zur Nutzung des Jordan- Wassers, versucht, die Verteilung des Jordan-Wassers zu regeln. Auf 52Prozent des Wassers sollte Jordanien, auf 36Prozent Israel, auf neun Syrien und auf drei der Libanon Anspruch haben. Gehalten aber hat sich an diese Bürokratenlösung niemand. Vor allem Syrien und Israel bedienten sich hemmungslos aus dem Jordan.

Wie Jordanien leidet auch Syrien unter einem gravierenden Wassermangel. Und wie dort reicht das kostbare Naß nach westlichen Verbrauchsmaßstäben nur für etwa die Hälfte der Bevölkerung. Beim Thema Wasser heißt der syrische Hauptfeind aber keineswegs Israel. Wegen der türkischen Stauprojekte am Euphrat kommt es vor allem mit Ankara immer wieder zu Konflikten. Der syrische Einmarsch in den Libanon, beteuert Präsident Assad immerfort, sollte dem bürgerkriegsgeschüttelten kleinen Nachbarn nur die „pax syriana“ bringen. Doch die „großsyrische“ Libanon-Politik spekuliert nicht zuletzt auch auf die reichen Wasservorräte der libanesischen Bergzüge. Denn der Libanon ist im Kreise der Jordan- und Yarmuk-Anrainer der einzige, der nicht unter Wassermangel leidet.

Alle anderen Staaten aber brauchen mehr Wasser. Und das schnell. Die Erkenntnis, daß der Regen nicht auf ein Dach alleine fällt, und daher auch nur ein gemeinsames Wassermanagement eine Lösung des Wasserproblems bringen kann, wird den Betroffenen zunehmend deutlich.

Mit großen Hoffnungen blicken die Jordan-Anrainer heute auf die Türkei. Könnte doch aus den anatolischen Bergen in absehbarer Zukunft Hilfe in der Not kommen. Denn schon seit dem Ende der siebziger Jahre liegen in den Schubladen türkischer Regierungsplaner die Konstruktionsskizzen für das größte Wasserleitungsvorhaben seiner Art: das Southeast Anatolia Project. Durch zwei gigantische Pipelines soll Wasser aus der Südost-Türkei an die Strände des Persisch-Arabischen Golfes und ans Rote Meer gepumpt werden. Genug für den Durst aller. Die US-Firma Brown & Root, die das Projekt plante, spricht von 16.000 Kilometern Rohrleitungen und einem Kostenumfang von 17 Milliarden US-Dollar. Der Wasserpreis, so die Berechnungen, würde sich dabei nur auf etwa ein Drittel desjenigen für die Meerwasser-Entsalzung belaufen.

Bevor allerdings die „Peace Pipeline“ und ein übernationales Wassermanagement in Angriff genommen werden können, müssen die einstigen Todfeinde — Syrer, Libanesen, Jordanier, Palästinenser und Israelis — trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer gemeinsamen Geschichte zu normalen nachbarschaftlichen Beziehungen finden. Sonst bleiben am Ende, wie in einem Shakespeare- Drama, nur standhafte „Sieger“ auf der Bühne. Als Leichen freilich.