Putschangst in Italien

Die Carabinieri, eine aufstandsgeübte Truppe, drohen damit, „Ordnung“ zu schaffen/ Harte Reaktion der Politiker  ■ Aus Rom Werner Raith

Francesco Cossiga, 64, von Beruf Staatspräsident Italiens, derzeit aber vor allem mit „Pickelschlägen“ ('La Repubblica‘) gegen das politische System des Landes beschäftigt, hat unversehens einen starken Verbündeten gefunden. Mit seinen Angriffen auf die demokratische Verfassung des Landes, deren oberster Garant er eigentlich sein sollte, hat sich ein bedeutender Teil der Carabinieri- Armee solidarisiert: „So geht es nicht weiter“, heißt es im Abschlußdokument der Carabinieri-Gewerkschaft bei ihrem Jahreskongreß in Rom, und: „Die Carabinieri-Armee wird ihren Weg zur Verteidigung von Recht und Ordnung voranschreiten, ohne Rücksicht auf irgendwen und mit allen Mitteln.“ Politiker aller Parteien sehen dies als offene Putschdrohung an.

Die Gewerkschaft repräsentiert gut ein Drittel der etwa 100.000 Mann starken Carabinieri-Armee, darunter fast die gesamte mittlere und beträchtliche Teile der oberen Ränge: insofern ist der Schuß nicht nur eine Unmutsäußerung eines Teils der Soldaten, sondern repräsentativ auch für die Führungskräfte der Carabinieri-Armee. Da diese Truppe zwar in Friedenszeiten nahezu ausschließlich mit Polizeiaufgaben beschäftigt, als Teil des Heeres aber mit allen modernen Waffensystemen ausgerüstet ist, nimmt Italien derlei Drohungen sehr ernst.

Ungeübt sind die Carabinieri in solchen Dingen ohnehin nicht — in nahezu allen Putschvorbereitungen im Lande seit Kriegsende waren sie beteiligt. Carabinieri-General De Lorenzo, in den 50er Jahren Chef des Geheimdienstes SIFAR, fühlte sich Anfang der 60er Jahre so stark, daß er mit seinen Soldaten zu putschen beschloß; sein „Piano Solo“ hieß „solo“ deshalb, weil die Carabinieri alleine, ohne fremde Hilfe, die Macht zu übernehmen trachteten. Auch im 1970 schon begonnenen, dann unversehens wieder abgebrochenen Putschversuch des Fürsten Borghese spielten Carabinieri- Kommandanten eine große Rolle, und in der umstürzerlischen Geheimloge „Propaganda 2“ waren die Spitzen der Polizeitruppe ebenfalls prominent vertreten.

Entsprechend nervös reagieren Italiens Politiker denn auch — am Mittwoch abend glich das Parlament einem aufgewühlten Ameisenhaufen. Speziell Verteidigungsminister Rognoni zeigte sich in heller Aufregung: ihn beunruhigte vor allem, daß die Carabinieri die Loslösung ihres Abteilung vom Gesamtmilitär und die Konstituierung als eigenes Organ forderte — eine Transformation, die zweifellos auf die Bildung einer Elitetruppe und damit eines Staates im Staate hinauslaufen würde. Rognoni hat sofort massive disziplinarische Schritte gegen die Lautsprecher der Carabinieri angekündigt.

Staatspräsident Cossiga, dem die Carabinieri ihre Solidarität ausgesprochen hatten, weil man „dieses System tatsächlich mit dem Pickel traktieren muß, um es zu überwinden“, schwieg indessen beredt. Ihm, dessen Mandat 1992 ausläuft, kommen die Verbündeten gerade recht — zu deutlich war sein Plan, die derzeitige liberale Demokratie in Italien in ein autoritäres System nach De Gaulleschem Muster in Frankreich zu transformieren, in den letzten Monaten ins Abseits geraten, zu klar hatten sich alle anderen Verfassungsorgane sich von ihm abgewandt oder waren in offenen Konflikt mit ihm geraten. Obwohl ein Großteil der Bevölkerung einzelne Attacken des Präsidenten unterstützt, weil im Lande vom Gesundheitswesen bis zum Verkehr so ziemlich alles im Argen liegt, so wenig sehen die meisten Italiener in einer autoritären Wende die Lösung: viele Bürger sehen vielmehr in Bürgerinitiativen zur Reinigung von Korruption und Klientelwirtschaft — wie sie etwa der ehemalige antimafiose Bürgermeister von Palermo, Orlando, derzeit im Lande aufbaut — oder in einer stärkeren Regionalisierung des Landes die adäquaten Maßnahmen.

Cossiga, der so seine Felle davonschwimmen sah, hat in der letzten Zeit verstärkt die Carabinieri als „aufrechte Säule eines sauberen Italien“ umworben und ruft sie stets mit dem einst vom König verliehenen Namen „Benemerita“, die Verdienstvolle. Die meisten politischen Kräfte — Neofaschisten und Teile der gegen die derzeitige Verfassung kämpfenden separatistischen oberitalienischen Ligen ausgenommen — vermuten wohl nicht zu Unrecht, daß Cossiga sie unter Druck setzen möchte, um so seine Wiederwahl zum Staatspräsidenten zu erreichen.

Cossiga braucht eine Aufwertung: Drei Amtsenthebungsverfahren laufen im Parlament gegen ihn, die Staatsanwaltschaften warten auf die Aufhebung seiner Immunität, und als er, in einer Art finaler Verzweiflung, sich selbst im Rahmen der Ermittlungen wegen der illegalen Geheimstruktur „Gladio“ wegen Hochverrats und Verfassungsbruchs anzeigte, erschien die Solidarität der Regierung und selbst seiner eigenen christdemokratischen Partei ein eher mühsames Lippenbekenntnis.