Morddrohungen liegen im Briefkasten

Dumpfes Gären in der Kleinstadt, die seit September zum Synonym für Ausländerhaß und Spießertum geworden ist  ■ Von Annette Rogalla

Hoyerswerda (taz) — Mit einem dumpfen „Bomm“ knallt Pilles Kopf auf das Holz. Dann liegt er schwer auf der Theke und regt sich nicht. Die Umstehenden werden ungeduldig: „Los, du Sack, setzt dich hin.“ Sie hieven ihn zu zweit hoch. Mit einer Hand betastet Pille vorsichtig die linke Augenbraue. Sie ist aufgesprungen. Pille leckt sich das Blut vom Handrücken. „Bier“, lallt er. „Du kriegst nix, du Arsch.“ Schnell klatscht eine Hand in sein Gesicht. Ein Turnschuh tritt hinterher, angefeuert durch die Mach-ihn-alle- Blicke der Umstehenden. „Weg mit dem Arsch“, bestimmt von hinten der „Chef“. Zwei Männer packen Pille an Armen und Füßen und werfen ihn wie einen Kartoffelsack vor die Tür. Nun liegt er da. Mit vollgepißten Hosen, sturztrunken, im Hemd, blutend vor dem Haupteingang der Stadthalle. Mitten auf dem Lausitzer Platz in Hoyerswerda.

Niemand von denen, die vorbeikommen, hilft Pille wieder auf die Beine. Auch Dieter Baur nicht. Zwar wurde der Mann vom Wachschutz extra vor einer Woche „wegen der Skinheads“ eingestellt. Er soll aber nicht aufpassen, ob sie sich die Köpfe einschlagen, sondern „daß sie keinen Sachschaden machen“. Erst zehn Minuten nach der Schlägerei geht er vor die Tür, aber da hat sich Pille schon davongeschlichen.

Das „Haus der Berg- und Energiearbeiter“ ist so etwas wie die gute Stube für alle. Abends stöckeln Bürgerinnen am Arm der Gatten über den falschen Marmor des Lokals und hören Schlagerstars aus dem Westen zu, tagsüber lagern hier die Skins im Foyer und dem dahinterliegenden kahlen Jugendklub. Eine schwarzgestrichene Theke aus Preßholz, ein paar zerschlissene karogemusterte Sessel, zwei blinkende Spielautomaten und ein Nacktbusen hängen an der Wand. Bier: 3,50 Mark. Im Foyer darf auch mitgebrachter Alk getrunken werden. Die Tristesse reicht den Jugendlichen anscheinend aus: „Ich will keinen schöneren Klub, mit Filmen und so 'n Mist. Ich will in Ruhe mein Bierchen trinken können.“ Mehr nicht. „Ahli“, 21, der Chef der Skins, hält nichts von Sozialarbeitern und Betreuern für Jugendliche. Wenn ihn die Stadtverwaltung fragen würde, was er sich wünsche, dann würde er sagen, daß der Klub länger offenhaben soll: „Und das Bier muß billiger werden. Sonst ist alles klar.“

Daran, daß in Hoyerswerda die Welt in Ordnung ist, zweifeln zwei Straßenecken weiter an diesem Abend 25 andere Jugendliche und noch einmal soviele Erwachsene erheblich. Mit einer Bürgerinitiative wollen sie sich gegen den Terror von rechts zur Wehr setzen. Zweimal überfielen die Skins im November einen Jugendklub in der Hufelandstraße. Traditionell gehört der Klub „Der Laden“ im Wohnkomplex5e zu den anspruchsvolleren Stätten jugendlicher Kurzweil. Regelmäßig fanden Lesungen in der Plattenbaracke statt, wurden Fellini-Filme gezeigt, der singende und dichtende Kohlekumpel Gerhard Gundermann war häufiger Gast. Seit langem hat das Kleinkunstzentrum den Ruf weg, „links“ zu sein. Bei beiden Überfällen Anfang und Mitte November kamen dreißig bis vierzig Skins, nach acht Uhr abends, wenn sie aus dem HBE rausmußten. Sie sprühten Tränengas, droschen mit Baseballkeulen auf die Besucher ein und zertrümmerten das Mobiliar. Die herbeigerufene Polizei kam beide Male zu spät, „weil nur zwei Einsatzwagen zur Verfügung standen“, so jedenfalls sagt es der damalige Dienststellenleiter. Die Polizei werde auch in Zukunft nicht immer rechtzeitig zur Stelle sein können, meint er.Anstatt sich vor die Jugendarbeiter des „Ladens“ zu stellen, nahm Sozialdezernent Martin Schmidt bei einer unmittelbar auf den Anschlag folgenden Diskussion die Skins in Schutz: „Es ist bedenklich, wenn sich die einen aus einem Klub herausgedrängt fühlen.“ So blieb Klubleiter Uwe Proksch nur noch die Schließung, weil „wir keine Unterstützung von der Stadt kriegen, die Rechtsradikalen sich auf uns eingeschossen haben und unsere Besucher immer häufiger sagen: Nee, ich komme nicht mehr, ich hab' Angst.“

Tatsächlich flattern einigen Klub- Gästen bereits anonyme Briefe ins Haus. Morddrohungen, in denen es heißt: „Wenn du nicht totgeschlagen werden willst, ... mach einen großen Bogen um den Laden... Wir wissen deine Adresse.“ Er kenne Jugendliche, die nachts von Glatzen auf der Straße angefallen wurden, sagt Ralf Stück. Er und etwa vierzig andere im Alter zwischen 14 und 22 Jahren haben sich zu einer „Antifa-Gruppe“ zusammengeschlossen. Während Politiker sich im Schreiben von Anträgen für das Gemeinschaftswerk Ost üben, ansonsten schweigen, und die Polizei hilflos den Kopf einzieht, wollen sie endlich aktiv werden.

Die Bürgerinitiative soll ihnen Bündnispartnerin sein. Am letzten Samstag vor Weihnachten wird die erste von Hoyerswerdaern organisierte Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit stattfinden. Mit einer Lichterkette wollen sie der aus Hoyerswerda vertriebenen Flüchtlinge gedenken. Auch eine Gesprächsrunde mit den rechtsradikalen Jugendlichen der Stadt wurde überlegt. Zwar reden die Politiker davon, daß die Stadt im Januar neue Flüchtlinge aufnehmen muß, doch bislang hat niemand die Bevölkerung darauf vorbereitet. Die wenigen, die an diesem Abend in den Jugendklub gekommen sind, überlegen sich vielfältige Solidaritätsaktionen. „Keine Ghettoisierung in Arbeiterwohnheimen“, verlangt Werner Münzberg von der SPD. Der Fisch- und Gemüsehändler verspricht, eine Familie bei sich zu beherbergen. „Die werde ich persönlich verteidigen“, sagt er, dabei ist er schon sechzig. Für den Notfall hat er sich schon eine Gaspistole gekauft.

Die wenigen in Hoyerswerda verbliebenen Ausländer sind immer noch hochgradig gefährdet. Nur zehn Tage ist es her, daß ein vietnamesischer Händler von zwei Skins auf dem Lausitzer Platz überfallen wurde. Sie wollten ein „Schutzgeld“ kassieren. Als der Mann nicht sofort zahlte, klauten sie ihm die Tageskasse und schlugen ihn zu Boden. Die umstehenden Marktbesucher schauten zu. Niemand half. Oder in der Sprache des Polizeiberichts: Die Täter entkamen. Auf den Überfall angesprochen, sagen die Skins in der Stadthalle, sie seien es nicht gewesen: „Aber warum regen sich alle darüber auf? Wir sind doch nicht die Mafia, wenn wir mal zehn Mark abholen wollen.“

Von diesem Überfall habe er lediglich gehört, sagt Silvio, ein Skin, noch keine zwanzig. Nein, er will keinen Ärger mehr, deswegen hält er sich aus allem raus. Erst vergangene Woche hat er vor dem Jugendgericht gestanden. Sein Prozeß war der erste, der gegen einen Rechtsradikalen geführt wurde, der sich am Terror gegen Ausländer im September beteiligt hat. Wegen unerlaubten Waffenbesitzes hatte ihn die Polizei vor dem Ausländerwohnheim in der Albert-Schweitzer-Straße festgenommen. Silvio trug unter der Bomberjacke einen Totschläger.

Zu vierhundert Mark verurteilte die Richterin den Mechanikerlehrling. Das läßt ihn kalt, er ist halt erwischt worden. Pech. Das Geld — für ihn etwa das Taschengeld eines Monats — zahlt er ohne Wimpernzucken. Nur: „Das Geld geht an amnesty international. Na ja, Menschenrechte hin oder her, aber die arbeiten im Ausland. Also lieber hätte ich es für Behinderte gegeben oder Krebs-Kinder oder besser noch für unsere Leute hier im Knast.“ Zwei seiner Kumpel sitzen seit September ein und warten auf ihre Verhandlungen vor dem Schöffengericht. Sie werden wegen Körperverletzung und schweren Landfriedensbruchs angeklagt. Haftstrafen sind zu erwarten. Silvio wird es nicht verstehen, wenn seine Freunde nicht mit einem blauen Auge davonkommen werden. Vorgestern verurteilte das Jugendgericht im nahegelegenen Bautzen einen 19jährigen Marktverkäufer zu 15 Monaten Haft. Schwerer Landfriedensbruch, Volksverhetzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt im Zusammenhang mit den Krawallen gegen das Asylbewerberheim in Hoyerswerda wurden ihm vorgeworfen. Ob er die gesamte Strafe absitzen muß, scheint unwahrscheinlich. Direkt nach der Urteilsverkündung sprach Staatsanwalt Heiko Voigt davon, daß in sechs Monaten darüber entschieden werden soll, die Strafe in Bewährung umzuwandeln. Im Januar sollen neue Flüchtlinge nach Hoyerswerda kommen. Lediglich fünfzig Leute stemmen sich derzeit offensichtlich gegen den Haß in der Stadt. Wenn Politiker und Jugendverwaltung weiter so platt versagen, ist es wahrscheinlich, daß Maulhelden zu Stadthelden werden. Dann trauen sich auch wieder die braven Spießbürger auf die Straße und klatschen Beifall, wenn es kracht.