Für die Lust auf Wirklichkeit

■ Bremer Dokumentarfilm-Preis an Frauenteam: „Warum starb Nirmala Ataie“

Ein Jahr ist es her, daß die Nepalesin Nirmala Ataie vor ihrem gewalttätigen Ehemann ins Frauenhaus floh. „Eigentlich müßten wir jetzt mit unseren Dreharbeiten beginnen. In der Straßenbahn; am Dobben, wo sie wohnte; im Bürgerpark, wo sie mit siebzehn Messerstichen ermordet aufgefunden wurde.“ Doch die Dreharbeiten werden wohl erst im nächsten Jahr beginnen können: Barbara Debus (taz-Redakteurin), Inge Buck (Hochschullehrerin) und Konstanze Radziwill (Schriftstellerin) wollen für ihren Film weiter recherchieren. Sie sind noch immer auf Spurensuche. Ihre Arbeit kann erst weitergehen, wenn im Februar der Prozeß gegen den mutmaßlichen Mörder beginnt.

Ziel der drei Frauen war und ist, möglichst viel über das Jahr herauszubekommen, das Nirmala Ataie als Frau eines Asylbewerbers bis zu ihrem gewaltsamen Tod in Bremen verbrachte. Für das, was die drei Autorinnen bisher über das Frauenschicksal erfuhren und in einem Film-Manuskript zusammenfaßten, wurden sie jetzt preisgekrönt. „Kein anderes Manuskript hat sich so überzeugend mit dem Alltag in Bremen, auseinandergesetzt“, hatte die auswärtige Jury ihre Wahl begründet.

Die Verleihung des ersten „Bremer Förderpreis für Dokumentarfilm“ war am Donnerstag Abend im Presseclub. Er hoffe, daß „durch die Spurensicherung die Tote wieder lebendig“ werde, hatte Dieter Opper, Abteilungsleiter Kultur beim Bildungssenator, verlautbart. Worte, die sichtlich zusammenzucken ließen.

Und sollte nicht eigentlich mit der Einrichtung eines „Bremer Förderpreises für Dokumentarfilm“ ein exotisches Pflänzchen, wie es der Dokumentarfilm in der kommerzialisierten Medienwelt nun einmal ist, gestärkt werden? Doch wo war die Rede von dem Thema, der Arbeit der Frauen, dem Sinn der Preisverleihung? Nur Thomas Frickel, von der „Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm“ in Frankfurt, fühlte sich offenbar verpflichtet, dies ins rechte Licht zu rücken. Er wolle nun nicht noch ein Grußwort hintendranhängen, ergänzte er seine Vorredner. Schließlich sei er als Festredner eingeladen. Dokumentarfilme machen — das heiße „Lust auf Wirklichkeit“ entwickeln, genau hinzugucken. Das sei oft aber auch schmerzhaft. Zumal für Filme, die in epischer Breite und hintergründig einem Thema hinterherspüren, zwischen Tutti Frutti und Sportschau kaum Platz sei.

Wie wichtig es dagegen ist, Wirklichkeit zu dokumentieren, das zeigte Thomas Mitscherlich vom Filminstitut mit einem eindrucksvollen, stummen Beispiel: Acht Minuten Filmmaterial aus den letzten Jahren des zweiten Weltkriegs, brennende Straßen in Bremen, das Rathaus — ein flammendes Inferno. Aber auch: die Trümmer danach, verstümmelte Menschen, das schwerfällige Suchen nach Verschütteten — in Zeitlupe. Acht Minuten Stummfilm. Danach: nur beklemmendes Schweigen.

„Unsere Arbeit ist nur eine Annäherung. Die Fremdheit bleibt“, die emotionale Bindung von Inge Buck, Barbara Debus und Konstanze Radziwill an ihren Film, die Schwierigkeiten, die sich aus dem Anspruch, dokumentarisch ein Leben zu rekonstruieren, ergeben — in keinem Moment wurden sie so deutlich wie nach dieser Vorführung. „So etwas ist nur im Team zu leisten“, betonen sie.

10.000 Mark stiftete das Filmbüro gemeinsam mit dem Bremer Institut Film/Fernsehen (BIFF): zusammengesetzt aus Restmitteln des 100.000 Mark-Etats für kulturelle Filmförderung (5.500 Mark) und 4.500 Mark, um die das BIFF aufstockte. Der Förderpreis soll eine ständige Einrichtung werden. Inwiefern die Realisierung des Films finanziell weiter unterstützt wird, bleibt abzuwarten. Dokumentarfilme sind oft arme Filme, hatte Thomas Frickel gesagt. Birgitt Rambalski