: Lokaltermin
■ Romantische Flucht in himmlische Gefilde
Romantische Flucht in himmlische Gefilde
Erzählungen über den »Törntower« werden gewöhnlich mit leuchtenden Augen vorgetragen. Bis Anfang der achtziger Jahre beherbergten die zwei obersten Etagen des Excelsior Hochhauses am Anhalter Bahnhof noch die legendäre Diskothek, die in Wirklichkeit »Rocktower« hieß. Dort, am Ende des Westens, konnte man am besten in den dunklen Osten blicken. Hell leuchtete der Grenzstreifen am Rande der Nacht und der Insel. Junge KifferInnen versorgten sich hier ein paar Jahre mit existentialistisch-romantischen Gefühlen.
Das 16. Stockwerk des Hochhauses ist auch heute noch einer der eher seltenen Orte, an denen man das Gefühl hat, in einer Großstadt zu leben. Manch einer findet es zwar im »Berliner Fenster« scheußlich, auch wird moniert, daß man im Café/Restaurant zu viele Touristen treffe, doch vor allem ist es still. Nicht tatsächlich, doch der Blick nach draußen rückt die Softrockmusik aus den Lautsprechern in den Hintergrund. Die Umgebung vor den Fensterreihen ordnet das Gespräch und taucht es in einen sanften Schein von unbedingter Wichtigkeit.
Immer schön wirkt die Stadt dort draußen. Man verliebt sich in die Reihe der Plattenbauhochhäuser an der Leipziger Straße, das Postgirohochhaus am Halleschen Tor, den Fernsehturm oder den ein oder anderen Wasserturm — so als erwartete einen dort das eigentliche Leben. Ein wenig kann es noch warten, während sehr weit draußen sanft der Rauch des Reuter Kraftwerks emporsteigt. ErstbesucherInnen suchen meist zunächst nur das Haus, in dem sie wohnen. Am Rande des Potsdamer Platzes springen immer noch todesmutig ein paar Bungyspringer an den Gummiseilen ins Leere, und am Nebentisch unterhalten sich einige (Betriebsausflug?) über Computerkurse und lachen herzlich zwischen »Alt, F10, Delete und Enter«.
Ein bißchen ähnlich ist es auf dem Fernsehturm. Hier überwiegen tatsächlich die TouristInnen, doch TouristInnen sind aller Erfahrung nach keine schlechten Menschen. Jedenfalls erklärt einem gleich der Fahrstuhlführer, so routiniert und zugleich doch auch stolz wie ein Flugzeugkapitän, daß der Fahrstuhl mit sechs Meter pro Sekunde emporfahren würde. Jemand lacht, und eine Engländerin bittet um eine Übersetzung. Ein bißchen ist es im »Telecafé« wie in einem Flugzeug; nicht nur, weil es sich bewegt und langsam um sich selbst kreist, sondern vor allem, weil die Berliner Dinge dort unten in 207 Meter Höhe unwirklich werden. Die S-Bahnen sehen abends aus wie kleine Schlangen, still und freundlich; im kühnen Bogen oder starr geradeaus fließen die Autos wie kleine Leuchtkäfer durch die Straßen. Was es zu essen und trinken gibt, ist eigentlich gleichgültig — man bestellt irgendwas. Das meiste ist teuer, auch wenn es schmeckt, also bleibt man beim Bier.
Zufallsbekanntschaften ergeben sich schnell. Eine junge, etwas punkige Drehbuchautorin erzählt aufgeregt von ihrem Besuch in Frankfurt/ Oder: Während der »Oderlandmesse« wäre sie in einem Jugendgästehaus untergebracht gewesen und des Nachts sehr gestört worden durch das »routiniert lustvolle« Stöhnen »aufschwungwilliger Ostsekretärinnen«, die mit »Westmanagern« »gefickt« hätten. »Um den Beischlaf zu kaschieren erklärten sie ihren KollegInnen beim Frühstück, sie wären letzten Abend beim Lösen komplizierter Kreuzworträtsel eingenickt. Dabei schienen sie ihre Ostsekretärinnen verschwörerisch um Verschwiegenheit zu bitten und meckerten über das schon erkaltete Frühstücksei und kriegten zur Antwort: ‘Wer ein warmes Frühstücksei essen will, muß schon um 7 Uhr im Frühstücksraum sein.‚ Ein ganz dicker Ostler dagegen, der im Süßigkeitenhandel engagiert ist und sicher in der letzten Nacht keinen Geschlechtsverkehr gehabt hatte, war mit dem Service sehr zufrieden und wurde zur Belohnung äußerst zuvorkommend bedient.«
Berliner Fenster, 12-23 Uhr, sonntags (mit Frühstücksbüfett von 9 bis 13 Uhr. Telecafé im Fernsehturm am Alexanderplatz, 9-24 Uhr (bis 23 Uhr Eintritt), am Nachmittag oft überfüllt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen