»Schöpfer« und »Geschöpf«

■ »Das Blau des Engels« — Autobiographie von Josef von Sternberg

Man sollte dieses Buch nicht mit in die U-Bahn nehmen. Man sollte es vor allem nicht so halten, daß die Rückseite mit dem Foto zu sehen ist. Niemand wird einem in die Augen schauen: alle werden nur auf dieses Bild blicken — in die leicht verschleierten Augen dieser unwirklich schönen jungen Frau. »Meinem Schöpfer von seinem Geschöpf« steht darauf als Widmung aus dem Jahre 1931 — unterschrieben mit »Marlene«.

Geschöpfe und Schöpfer — genau darum geht es in »Das Blau des Engels«. Zunächst ist da nur der kleine Jonas Sternberg, der von seinem Vater zweimal auf dessen Auswanderungsversuchen mit nach Amerika und wieder zurück nach Wien verfrachtet wird, um dann endgültig in New York angesiedelt zu werden. Der Autor lapidar: »Ich verkroch mich in einer High-School auf Long Island bis ich fünfzehn war und tat nichts, außer mit der englischen Sprache zu kämpfen. Dann mußte ich mir Arbeit suchen, denn zu Hause gab es kaum etwas zu essen.«

Er läuft von zu Hause weg, lebt von Gelegenheitsarbeiten, wärmt sich in Museen, Bibliotheken und Kinos auf. Per Zufall lernt er einen Mann kennen, der ein Verfahren zum Reinigen von Filmkopien erfunden hat. Er wird der Laufbursche der Firma, arbeitet sich bis zum Assistenten des Chefs hoch, überprüft die Untertitel der inzwischen dort auch produzierten Filme. Nach dem Ersten Weltkrieg und seiner Entlassung aus der Army wird er Regieassistent, geht nach Hollywood. So geht das jahrelang: Er hangelt sich von Regieassistenz zu Regieassistenz, bis er dreißig Jahre alt ist. Dann dreht er seinen ersten Film The Salvation Hunters mit einem Minimum an Zeit und Geld und wird buchstäblich über Nacht berühmt. Das vom Schicksal gebeutelte Geschöpf ist zum Schöpfer Josef von Sternberg geworden. Auf den Bildern aus seinem privaten Fotoalbum am Schluß des Buches ist es ganz deutlich zu sehen: mit gesenkter Stirn, den Stock quer über den Knien, sitzt er, umgeben von seinen Schauspielern, am Drehort auf einer Türschwelle. In seinem Ausdruck liegt etwas Gewalttätiges.

Die Worte »Kontrolle«, »beherrschen«, »manipulieren« tauchen immer wieder in seinem Buch auf: unter Kontrolle halten muß er sein »Material«, »seine Marionetten«, wie er die Schauspieler nennt. Zwar sagt er, daß er in dieser »Untersuchung des Wesens unserer Arbeit«, wie er seine Autobiographie bezeichnet, den Schauspieler nicht herabsetzen, sondern nur genau betrachten will, doch bei der Beschreibung von Emil Jannings in der Künstlergarderobe bei den Dreharbeiten zum Blauen Engel weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll: dieses entwürdigende Ritual zwischen Regisseur und Schauspieler, das unweigerlich damit endete, daß Jannings sich heulend am Boden wälzte — nur weil Josef von Sternberg nicht mit ihm essen gehen wollte, sondern mit Marlene Dietrich. Überhaupt Marlene: sie drehte den Spieß einfach um und erzählte es allen und jedem, daß sie nichts wäre ohne Josef von Sternberg. Das hatte den gewünschten Effekt. »Eine glühendheiße dampfende Dankesfontäne schoß ständig und zu jeder Stunde aus dem Vulkan hervor. Sie verbrühte mich — und ich konnte nichts dagegen tun.«

Das Blau des Engels ist die brillant geschriebene Verteidigungsrede eines Mannes, der auszog, ein Herrscher zu sein: Herrscher über Schauspieler — »eine Tube Farbe, die ich auf der Leinwand benutzen muß«. Herrscher über all die Menschen — Toningenieure, Kameramänner, Garderobieren — die dazu beitragen, daß ein Film als Ganzes Gestalt annimmt, und die er am liebsten hinweggefegt hätte.

Es lohnt sich, dieses Buch — eine exzellente Neu-Übersetzung seiner bereits in den 60er Jahren auf deutsch erschienenen Autobiographie mit vielen schönen Fotos — zu lesen. Man erfährt nur wenig über Josef von Sternburgs Privatleben, doch durch die Analyse seiner Arbeit als autokratischer Regisseur entfaltet sich vor unseren Augen das Bild eines extravaganten Menschen mit außergewöhnlichem Kunstsinn, der die Kraft und Besessenheit hatte, seine Visionen in die Tat umzusetzen. Barbara Rosenberg

Josef von Sternberg: Das Blau des Engels . Autobiographie, Schirmer und Mosel-Verlag, 78 DM mit 50 Abbildungen.

Erstsendung im SFB; wir danken für die Abdruckerlaubnis.