: »Ist's Nike oder Honecker?«
■ Wir stellen vor (2): Rebecca Goldblum, Dichterin
Schlechte Gewohnheiten scheinen sich wieder durchzusetzen, betrachtet man die aktuelle Rezeption ostdeutscher Lyrik. Männer, Männer und nochmals Männer sind es, die des Nachts, die Fingernägel bis zur Kuppe abnagend, haareraufend und radebergertrunken unzählige Zeilen schinden. Gereimt oder frei, der Dichtkunst sind kaum noch Grenzen gesetzt, die DDR, ein einzig Land von Lyrikern und Lenkern!
Das kann und will frau sich nicht länger bieten lassen. Anderson, Papenfuß-Gorek und Schedlinski allerorten, doch nirgendwo sind die Poesien von Karin Gerhard, Isolde Schnobbe-Wyczinski oder Erdtrud Röhmig zu finden. Eine der interessantesten Dichterinnen ist derzeit Rebecca Goldblum, Jahrgang 68, Tochter des Plauener Komponisten Karl E. Goldblum und der griechischen Malerin Irene Ramadopulos.
Schon mit elf Jahren las sie ihre ersten Gedichte in der volkseigenen Lesestube Wurzen/Sa. vor, betrampte zwischen 14 und 17 den gesamten Ostblock, nahm als Mitglied der Mädchenmannschaft (Volleyball) an den Jugendweltspielen in Korea teil, und war eine der ersten Ikebana-Meisterinnen der ehemaligen DDR. Diese Vielseitigkeit tritt auch in ihren Gedichten zutage, die erstmals in der Reihe Poesiealbum (Verlag Neues Leben) veröffentlicht wurden, in der immerhin so respektable Dichter wie Walt Whitman und Alfred Kurella erschienen.
»Das Gedichteschreiben ging mir immer leicht von der Hand«, sagt die heute 23jährige, mit hilflosem Erstaunen über den furiosen Erfolg, den sie derzeit in New York erlebt. Dorthin folgte sie nämlich kurz nach dem Mauerfall einem Flötisten aus der Begleitgruppe von Laurie Anderson, den sie bei einem Konzert in West-Berlin kennengelernt hatte. Das Leben schreibt eben manchmal die verrücktesten Geschichten.
Rebecca wohnt mittlerweile in einem weitläufigen, karg eingerichteten Appartment in der Upper Eastside, hetzt von Lesung zu Lesung, von Party zu Party und ist froh, wenn sie zwischendurch ein wenig Zeit für ihre neueste Leidenschaft findet: das Pendeln. »Wenn ich zum Beispiel nicht sicher bin, ob ein Gedicht gelungen ist, lass' ich das Pendel sprechen. Kreist es eine Elipse, weiß ich, es ist perfekt, schwankt es im Kreis, ist es grundsätzlich in Ordnung, müßte aber noch ein wenig ausgefeilt werden, schwingt es in der Waagerechten hin und her, schmeiß' ich es gleich weg!«
An ihre Kindheit und Jugend in der ehemaligen DDR denkt sie oft mit Wehmut. »Natürlich ist es herrlich, alles kaufen und überall hinfliegen zu können«, sagt sie nachdenklich, »aber manchmal denke ich daran, wie sensationell und toll es war damals, wo man gar nicht wählen konnte beim Konsum, wo man schon froh war, zum Beispiel einen einfachen Fernsehsessel zu ergattern. Außerdem, bei allem, was schlecht war, wurden in der DDR die Lyriker ganz anders geschätzt. Da konnte man sogar von leben!«
Wir möchten Gedichte von Rebecca Goldblum vorstellen: Drei aus ihrem Ach-Zyklus (1989, nach dem Umzug schon in Berlin-Prenzlauer Berg entstanden) und ihr letztes Gedicht, das sie uns schon aus New York faxte, als sie im Fernsehn die Bilder der ausländerfeindlichen Ausschreitungen in ihrer Heimat sah. Zur Zeit schreibt Rebecca an einem Musical-Libretto. Renée Zucker
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