Gegen das Auslöschen der Spuren

■ Fotografien einer fast vergessenen Revolution in Nicaragua von Cordelia Dilg und Michael Kottmeier

Die Ausstellung Falsch belichtet? der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst (NGBK) zeigt Fotografien aus einem zentralamerikanischen Land, Bilder der Menschen, die dort leben, kämpfen und arbeiten; Bilder von den beinah vergessenen Anstrengungen eines armen Volkes, inmitten eines Bürgerkrieges so etwas wie die Utopie eines gerechten und sozialen Staates zu verwirklichen. Die Ausstellung dokumentiert, daß Fotografien nicht immer zu trauen ist, stellt die Frage nach der Authentizität des Abgebildeten. Der Produzent/Fotograf und sein Produkt, das Bild, und der Konsument/Betrachter sind geprägt durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, abhängig von ihren jeweiligen Erfahrungs-, Wahrnehmungs- und Deutungsmustern. Diese Muster bilden das Gewebe unserer Kommunikation, und je nach Tiefe und Breite unseres kulturellen Sozialisationsprozesses sind wir fähig, jenes Gewebe mit zusätzlicher Bedeutung zu füllen und in Wissen umzuformen, Bilder und Eindrücke einzuarbeiten oder auch lediglich Klischees zu reproduzieren.

Cordelia Dilg und Michael Kottmeier erläutern sehr offen und anschaulich in Bildgeschichten und selbstverfaßten Kommentaren von Vorüberlegungen, persönlichen Restriktionen und Problemen bei ihrer Arbeit in Nicaragua. Beide lebten dort Anfang der achtziger Jahre und berichteten für westdeutsche Fotoagenturen über die Auswirkungen des Bürgerkrieges auf das Volk zwischen den Fronten der sozialistischen Sandinisten und der Contras.

Im Zuge der anhaltenden Attacken seitens der massiv von den USA unterstützten Contras und enormer ökonomischer Hürden für den jungen sozialistischen Staat kam es zu großen Umsiedlungsaktionen gefährdeter Bevölkerungsgruppen, Aufklärungsmärschen von Gewerkschaftern und Ministern durch die ihnen zugeteilten Regionen des Landes, Versammlungen zwischen Sandinisten und Bauern, Alphabetisierungskampagnen etc.

Dilg und Kottmeier mußten anfangs versuchen, sich von der europäischen Konditionierung des Blickes freizumachen. Die Schere im Kopf, bei einer offenen Sympathie für die Sache der Sandinisten, war dabei nur ein weiterer Aspekt auf der ständigen Suche nach dem Bild, das den einen Augenblick oder einen Sachverhalt so realistisch wie möglich wiedergibt.

Oft wurden Fotos zurückgehalten, deren Inhalt vom Fotografen ungewollte Deutungen zugelassen hätte. Cordelia Dilg präsentiert einige ihrer unveröffentlichten Arbeiten: Kinder, halb lachend, halb ernst beim Guerillaspielen verschwanden in ihrem Archiv, da sie die »Militarisierung der Kindheit« versinnbildlicht hätten, manch sandinistische Propaganda auf Postern oder Plakatwänden rückte auf dem fertigen Abzug zu manipulativ in den Vordergrund, eine über die Versorgung klagende Frau hätte auch die wirtschaftliche Unfähigkeit der Regierung anzeigen können.

Sind die Arbeiten nicht mehr in der Hand des Fotografen, verfahren Presse und Bildagenturen wiederum nach eigenen Auswahlkriterien. Die kommerzielle Verwertbarkeit wird zum Regulativ, die »schöneren« haben von vornherein den Vorzug vor den spröden Aufnahmen. Es werden neue Kontexte erfunden, Fotos zurechtgeschnitten und aus ihrem zeitlichen Zusammenhang gerissen. Jegliches Bildmaterial ist also bereits durch eine kulturelle, ideelle und merkantile Selektionskette gelaufen, bevor es beim Rezipienten anlangt, der es dann wieder seinen eigenen Wahrnehmungsschemata anpaßt. Diese Vorgänge werden in der Ausstellung mit ursprünglichen Arbeiten und ihren nicht selten verstümmelten Publikationen dokumentiert.

Die beiden Fotografen beweisen neben den Fotoreportagen auch in ihren sensiblen, ruhigen Darstellungen von Nicaraguanern bei landwirtschaftlicher oder handwerklicher Arbeit oder in eindringlichen Portraits, ihren »Lieblingsbildern«, daß es so etwas wie persönliche Dokumentarfotos gibt.

Die Bilder der Ausstellung lassen uns über die eigenen Denk- und Wahrnehmungskodizes stolpern, stören unseren tumben visuellen Verdauungsapparat, der, chronisch verstopft, nur noch speichern, aber kaum noch intellektuell verarbeiten kann. Jeannine Fiedler

Falsch belichtet? nur noch bis Sonntag, 8.12., in den Räumen der NGBK, Tempelhofer Ufer 22, Kreuzberg 61, Katalog 16 DM.

Cordelia Dilg, geboren 1946 in Stuttgart und Michael Kottmaier, geboren 1955 in Hamburg, haben in den vergangenen Jahren unter anderem auch für die taz aus Ländern Mittelamerikas Fotos und Bildreportagen geliefert.

Außerdem stellt die NGBK bis zum 14.12. Arbeiten der Stipendiaten für zeitgenössische deutsche Fotografie der Alfred Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung 1988 und 1989 vor. Die Ausstellung ist eine Übernahme der Fotografischen Sammlung im Museum Folkwang in Essen. In der Fotogalerie/Kommunale Galerie Helsingforser Platz 1, Friedrichshain.