Ein Betrieb saniert sich zugrunde

■ GRW-Betriebsräte in der Klemme/ »Industriepark der Unternehmensgruppe Wisser ist unser Konzept«

Teltow. »Es wird sehr schwierig, unter euren Bedingungen als Betriebsrat zu arbeiten«, hatte Hartmut Neuendorf, Interessenvertreter bei Nixdorf in West-Berlin, vor zwei Jahren den Gründern des provisorischen Betriebsrates im Geräte- und Regler- Werk (GRW) Teltow gesagt. Die freundschaftliche Sorge aber schlugen Wolfgang Pietschmann und seine Kollegen in den Wind. Schließlich hatten sie schon im November 1989 — als eine der ersten betrieblichen Initiativen in der DDR — die SED, ihre Massenorganisationen und die Betriebskampfgruppe aus dem Betrieb geworfen. Warum sollten sie da nicht in der Lage sein, die nachsozialistische Zukunft des Betriebes mit Unterstützung erfahrener Kollegen aus West-Berlin entscheidend mitzubestimmen?

In der Unterstützung der Nixdorf- Betriebsräte sollten sie sich nicht getäuscht haben. Deren pessimistische Vision der Zukunft des GRW und die schwierige Lage des Betriebsrates wurde freilich übertroffen. Seit Juli dieses Jahres ist der größte Teil des ehemaligen Betriebes samt Gelände für eine Mark an die Unternehmensgruppe Wisser verkauft, die daraus einen Industriepark machen will. Das Kernstück des Betriebes aber, der Anlagenbau, gehört mit 1.200 Mitarbeitern seit April dieses Jahres Siemens.

Die inzwischen nicht mehr provisorischen Betriebsräte im Rest- GRW, das heute noch rund 800 Mitarbeiter beschäftigt, schätzen ihre Rolle mittlerweile nur mehr als »Alibi-Funktion« ein: »Wir wickeln hier nur noch ab. Mitte 1992 müssen auch wir uns als Betriebsrat vermutlich einen neuen Job suchen.«

Dabei hatte es für die ehemals etwa 6.000 Mitarbeiter des GRW gar nicht so übel angefangen. Schon im Dezember 1989 interessierte sich die bundesdeutsche Siemens für das Werk, das vor der Wende auf die Projektplanung, den Vertrieb und die Montage von Automatisierungsanlagen für Industrien aller Art, insbesondere für Kraft- und Kernkraftwerke spezialisiert war. Daneben produzierte man Schaltpulte und Geräteschränke sowie Teilstücke von Automatisierungsanlagen. In einem dritten Bereich des Betriebes, den sogenannten »zentralen Diensten«, fanden sich betriebseigene Handwerkerkolonnen, eine eigene Berufsausbildung und eine große Anzahl sozialer Einrichtungen. Siemens schloß im März 1990 eine Grundsatzvereinbarung mit dem Betriebsdirektor des GRW ab, in der die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen anvisiert wurde. Daß es zu Entlassungen kommen würde, zu einer Rationalisierung und Modernisierung des Betriebes schien der Mehrheit der Kollegen und dem Betriebsrat völlig richtig.

Vor der Wende, so Klaus Schmidt, ebenfalls Mitarbeiter im ersten provisorischen Betriebsrat und heute in der Interessenvertretung des von Siemens gekauften Anlagenbaus, »gab es hier viel zu viele Leute, die mit politischer und gesellschaftlicher Tätigkeit beschäftigt waren. Die Erstellung von Wandzeitungen zum Beispiel gehörte dazu. Aber auch die Betriebskampfgruppen etc. Daß hier viel überflüssige Arbeit gemacht wurde, war jederman klar.« In der Hoffnung, einen möglichst großen Teil des Betriebes an Siemens zu verkaufen, machte sich der Betriebsrat mit Unterstützung der Nixdorf-Kollegen zunächst mit dem neuen Recht vertraut, handelte Sozialpläne, Abfindungen, AB-Maßnahmen und eine Arbeitsförderungsgesellschaft aus. Wo es nicht anders ging, stimmte man — heftig kritisiert von der IG-Metall, die den Betriebsrat im November 1990 das erste Mal besuchte — der »Kurzarbeit Null« zu. Bis zum Juni 1991 genossen die Kollegen schließlich den von der IG-Metall ausgehandelten Kündigungsschutz.

Der Zusammenbruch des Marktes in Osteuropa und die Talfahrt der Industriebranchen in der ehemaligen DDR hat vom Aufbruchoptimismus der Betriebsräte heute nur noch einen verzweifelten Realismus übriggelassen. Statt der ursprünglich anvisierten 2.400 Beschäftigten übernahm Siemens nur 1.200, ein anderes realistisches Kaufangebot gab es nicht.

Immerhin investiert Siemens sichtbar in die Gebäude und ihre Ausstattung. Die schlechte Auftragslage erfordert von vielen jedoch eine höhere Mobilität. Betriebsrat Klaus Schmidt hat alle Hände voll zu tun, damit sie für »Abordnungen« in andere Siemens-Betriebsteile angemessen entschädigt werden. »Das aber ist immer noch besser als Arbeitslosigkeit.«

Besser als Arbeitslosigkeit — so Wolfgang Pietschmann — sei für die Beschäftigten des Rest-GRW nur das Konzept des Industrie- und Gewerbeparks der Unternehmensgruppe Wisser. Teltow könne trotz guter Infrastrukturen (Eisenbahn- und Kanalanschluß) nicht weiter Industriestandort der Elektro-Industrie bleiben. Der Betriebsrat sei vom Kaufvertrag am 5. Juli informiert worden und habe ihn begrüßt. Für mehr als 450 Beschäftigte sei im Rest-GRW keine Arbeit. Zusammen mit den bereits existierenden Töchtern des GRW und den anzusiedelnden Neu- Unternehmen ergäben sich jedoch höhere Zahlen. Ein Konzept für die Region sei sicher nötig. Nur welches? Schon das Arbeitsamt tut sich momentan schwer mit der Genehmigung von AB-Maßnahmen. Sie werden zur Zeit vermutlich aus Geldmangel abgelehnt. »Die Friedrich- Ebert-Stiftung hat uns das Modell Saarland gepriesen. Dort haben die aber für eine Beschäftigungsgesellschaft 75 Millionen Mark Stammkapital. Wir haben hier für die GRW- Beschäftigungsgesellschaft 90.000 Mark vom Land Brandenburg. Das sind die Unterschiede.« Martin Jander/Stefan Lutz