Grüttke: Provinz Berlin

■ Der zurückgetretene ehemalige Berliner Olympiamanager Lutz Grüttke übt im Interview heftige Kritik am Senat und an NOK-Oberhaupt Willi Daume

Stuttgart/Berlin. Lutz Grüttke, der zurückgetretene Ex-Geschäftsführer der Berliner Olympia GmbH, hat in einem Interview der 'Stuttgarter Zeitung‘ insbesondere Willi Daume für die Turbulenzen um die Olympiabewerbung verantwortlich gemacht. Grüttke bezeichnet darin den Präsidenten des NOK als »Instabilitätsfaktor«. So habe ihm Daume den Auftrag erteilt, »vorsorglich auch die Bewerbung um die Spiele im Jahr 2004 zu planen«. Im kleinen Kreis habe der NOK-Chef ebenso wie Bundeskanzler Helmut Kohl die Sorge geäußert, »daß 2000 einfach zu früh kommt«.

Grüttke hatte sein Amt verlassen müssen, weil er widerrechtlich als Olympiachef zusammen mit den fünf olympischen Ringen in einer Anzeige für den Herren-Konfektionär »Windsor« geworben hatte. Außerdem schanzte der Aufsichtsrat der Olympia GmbH um den Regierenden Diepgen (CDU) Grüttke die Verantwortung für einen angeblich überteuerten Werbevertrag mit der Düsseldorfer Agentur Schirner zu. Obwohl doch eigentlich der Aufsichtsrat — also Diepgen — dazu verpflichtet gewesen war, Grüttke zu kontrollieren. Schließlich hatte Diepgen gegen seinen früheren Lieblingskandidaten Grüttke staatsanwaltschaftliche Ermittlungen einleiten lassen, wohl um von seinem eigenen und dem Versagen des Senats abzulenken.

Auf seinen Nachfolger angesprochen, meint Grüttke: »Wer immer es ist, er wird es genauso schwer haben.« Dies liege daran, daß alle Beteiligten die Olympischen Spiele nur als »Mittel zu ihrem Zweck« betrachteten. Sie würden dem Olympiamanager eine »Tüte voller Wünsche auf den Tisch werfen«, wobei der Senat die Spiele als »gigantische Infrastrukturmaßnahme« benutzen, das NOK nur die »Bewerbung durchziehen« und der Landessportbund »möglichst viele schöne Veranstaltungen« haben wolle.

Scharf ins Gericht geht der 49jährige Manager mit den deutschen Sportfunktionären. Sie würden erst lebendig, wenn es darum gehe, »ob auf die Stirnbänder ihrer Athleten ein noch größeres Sponsorenlogo paßt«. Deshalb würden diese »rundgeschliffenen Funktionäre« bei der Wirtschaft zunehmend »an Ansehen verlieren«.

Erstmals äußert sich Grüttke auch zu seiner Demission vor zwei Monaten. Er sei sich sicher, daß sich die staatsanwaltlichen Ermittlungen »in nichts auflösen« würden, weil er »nichts Unrechtmäßiges« getan habe. Wenn er sich etwas vorzuwerfen habe, dann nur seine Ungeduld beim Bemühen, der »Provinz« Berlin, »neue Maßstäbe beizubringen«, die er in New York, Paris und London kennengelernt habe. Als eine seiner Amtstaten hatte Grüttke Anfang des Jahres vor der ausländerfeindlichen Stimmung in der Stadt gewarnt, was ihm vom Senat prompt sehr übelgenommen worden war. dpa/taz