Nur einen Moment lang gepennt

■ Der Bundesliga-Spitzenreiter Eintracht Frankfurt spielte wieder sehr schön, aber wenig erfolgreich Zum 1:1 kam der FC Schalke 04 durch einen Stolperer mit Elfmeterfolgen in der vorletzten Minute

Gelsenkirchen (taz) — Machen wir einen Zeitsprung. Versetzen wir uns in die virtuelle Realität des 16.Mai des kommenden Jahres. Letzter Spieltag der Fußball-Bundesliga 1991/92. Nehmen wir an, der deutsche Meister stünde bereits fest, und nehmen wir ferner an, es sei nicht Eintracht Frankfurt. Dann müßten wir uns retrospektiv fragen, weshalb es der spielerisch besten Mannschaft der Liga nicht gelingen konnte, ihre Überlegenheit mit dem Gewinn der Meisterschale zu belohnen. Einige wenige werden sich dann möglicherweise des 5.Dezember 1991 erinnern, an das Spiel der Eintracht bei Schalke 04.

Damals stand die Eintracht nämlich noch ganz oben auf dem ersten Platz der Tabelle. Ihr Trainer, der Serbe Dragoslav Stepanovic, konnte in der Pressekonferenz noch gut gelaunt und ausgiebig mit seinem damaligen Landsmann, dem Bosnier Aleksandar Ristic herumwitzeln, der gerade erlittene Punktverlust in Gelsenkirchen schmerzte so gut wie gar nicht. Die Welt am Frankfurter Riederwald war noch in Ordnung, das Ende der Saison noch nicht in Sicht.

Dennoch hatte die Eintracht erneut einen Punkt verloren, einen Zähler auf dem Weg zur Meisterschaft. Sie war die klar dominierende Mannschaft an diesem kalten Winterabend gewesen, hatte Fußball gespielt und nicht — wie der Gegner aus Schalke — bloß gekämpft. „Wir haben kontrolliert, überwiegend das ganze Spiel“, sagte Stepanovic später. Sein Kollege Ristic vergab den inoffiziellen Titel „Beste Auswärtsmannschaft im Parkstadion“ an den Gast vom Main. Warum aber, so mochte man sich fragen, reichte es seinerzeit nicht zum doppelten Punktgewinn?

Beantworten ließe sich diese Frage mit dem Verweis auf die Stärke des Gastgebers, des FC Schalke 04. Aber dessen Anteil am Geschehen belief sich lediglich auf den Beginn und das Ende der Partie. In den ersten 23 Minuten vergaben Borodjuk und Sendscheid eine durchaus mögliche Schalker Führung. Zwei Minuten vor Schluß würgte sich dann der eingewechselte Günter Schlipper in den Strafraum durch, Anthony Yeboah foulte, und Schiedsrichter Wiese entschied unumstritten auf Elfmeter. Ingo Anderbrügge hämmerte den Ball zum 1:1 ins Netz und im Parkstadion jubelte alles über einen Punkt, den viele erhofft und niemand mehr für möglich gehalten hatte.

Zu sehr hatte die Leistung des Gastes aus Frankfurt imponiert, zu sehr von Respekt geprägt war die defensive Taktik der Schalker, und zu oft hatten die Zuschauer die zunehmende Desorganisation ihrer Mannschaft ansehen müssen. Anderbrügge, Sendscheid und Borodjuk waren im Angriff allein gelassen. Schalke war auf Schadensbegrenzung aus, versuchte durch eine aufgerückte Abwehrreihe und personale Überpräsenz im Mittelfeld keinen Raum für die Pässe von Möller, Bein, Falkemayer und Weber entstehen zu lassen. Doch dieses Unternehmen gelang auch nur im Ansatz, denn zum einen war die Arbeit der Schalker nicht sorgfältig genug, zum anderen entzogen sich die Frankfurter dieser Enge durch ihr technisch überlegenes Spiel.

Dabei bewies vor allem Uwe Bein, welch wertvoller Spieler er für die Eintracht sein kann. Trotz schlüpfrigen Rasens und glitschigen Balls verlor er nie die Kontrolle und die Übersicht. Setzte er, infolge des Schalker Dickichts, seltener als gewohnt seine gefürchteten tiefen Pässe ein, dennoch diktierte er zu jedem Zeitpunkt die Gangart seines Teams und damit die des gesamten Spiels. Er allein zeigte rationalen Fußball, spielte seine Ballbeherrschung immer wieder aus, antizipierte die Bewegungen seiner Mitspieler und deren Gegner nahezu perfekt und strukturierte aus dem Mittelfeld heraus die Offensive der Eintracht.

Wie also konnte es überhaupt noch zum Punktverlust für Frankfurt kommen? Das ist die alte Geschichte vom sicheren Bewußtsein des Sieges, das jäh gebrochen wird. In den letzten Minuten war Schalke verzweifelt versucht, die erste Heimniederlage zu vermeiden, taumelte nur noch auf Uli Steins Tor zu und wühlte, wühlte nach irgendwas. Die Eintracht glaubte wie die meisten der verbliebenen Zuschauer nicht mehr an ein blau-weißes Wunder, spielte einen Moment lang unkonzentriert, und schon stürzte urplötzlich Günther Schlipper im Strafraum.

So entschied, wie so oft in der Geschichte des geliebten Spiels, ein Augenblick ein Match. Die Meisterschaft bleibt offen. Eintracht Frankfurt kann Meister werden, sollte aber über das begründete Bewußtsein technischer Klasse den Erfolg nicht ganz vergessen. Thomas Lötz

Schalke 04: Lehmann - Güttler - Herzog, Prus - Luginger, Borodjuk (63. Schlipper), Müller (34. Christensen), Freund, Anderbrügge, Flad - Sendscheid.

Eintracht Frankfurt: Stein - Binz - Bindewald - Roth, Klein, Möller, Bein (79. Sippel), Falkenmayer, Weber - Yeboah, Andersen.

Zuschauer: 45.100, Tore: 0:1 Andersen (25.), 1:1 Anderbrügge (89./Foulelfmeter).