Maastricht greift nach den Sternen

Die Stadt erhofft sich vom EG-Gipfel einen neuen Boom — und garantiert dieses Mal Essen ohne Salmonellen  ■ Aus Maastricht Dorothea Hahn

Vor fünfzehn Jahren sah es so aus, als ob Maastricht zusammen mit seinen Kohlegruben untergehen würde. Sämtliche Zechen in der niederländischen Provinz Limburg waren stillgelegt worden, 75.000 Menschen standen auf der Straße. Keine alternative Einnahmequelle war in Sicht und die Regierung in Den Haag für holländische Verhältnisse extrem weit entfernt. In ihrer Not besannen sich die Limburger Europas — und starteten eine Marketingkampagne, wie sie außerhalb der „freien Wirtschaft“ ihresgleichen sucht.

Clevere Lokalpolitiker erkannten den Wert von Maastrichts geographischer und politischer Lage. Schließlich liegt die Stadt an der Maas nur einen Kilometer von Belgien und 25 Kilometer von Deutschland entfernt. Was lag da näher, als das darbende Maastricht nach Europa zurückzuführen? „Leute kommt nach Limburg, investiert in Limburg und kauft in Limburg“, lautete das Motto der Nach-Kohlen-Ära. Schon 1981 brachten die Bemühungen einen Erfolg: Maastricht durfte zum ersten Mal einen EG-Gipfel ausrichten. Nur leider hatten sich damals ein paar Salmonellen unter den Kartoffelsalat im kalten Buffet gemischt, weshalb zahlreiche Politiker und Journalisten den Gipfel lange in unangenehmer Erinnerung behalten sollten. Dem Image Maastrichts als aufstrebendem „Dienstleistungsstandort“ haben die Salmonellen jedoch nicht geschadet. Noch während des '81er Gipfels entstand eine Fortbildungsstätte für Eurokraten (European Institute of Public Administration, EIPA). Mehr als zwanzig weitere Institute (Neudeutsch: Think Tanks), eine riesige Kongreßhalle (Fassungsvermögen: 16.000 Menschen), eine Universitätsklinik und ein festungsartig gebauter neuer Sitz für die Provinzregierung sollten folgen. All diese Einrichtungen haben Maastricht zur „vierten europäischen Stadt“ gemacht, erzählen Lokalpolitiker heute gerne — nach Brüssel, Straßburg und Luxemburg. Nach den Forschern und Politikern kamen die Investoren, davon viele aus Japan und den USA.

In Maastricht gründeten sie Zweigniederlassungen, um ein Standbein auf dem europäischen Markt zu haben. Auch die örtliche Geschäftswelt profitierte von dem Boom: Waren und Preise wurden immer exklusiver. Das wiederum freute die Hausbesitzer, die im historischen Stadtkern von Maastricht heute die höchsten Gewerbemieten der Niederlande verlangen. Daß diesmal zumindest ein Teil der Verpflegung aus Den Haag eingeflogen werden soll, können sie leicht verschmerzen. Der „Gipfel-Effekt“ wird bis ins nächste Jahrtausend reichen, prognostiziert PR- Manager des Provinzgouverneurs, Paul 't Lam. Vor den Toren der Stadt wird bereits eine zweit Boom-Town für künftige Investoren angesiedelt.

Bei den 120.000 Einwohnern hat sich das „europäische Gefühl“ trotzdem nicht durchgesetzt. Die Leute nehmen den Euro-Rummel zwar gelassen hin, niemand protestiert oder sprüht Graffitis. Doch ein besonderes Interesse an der EG haben nur wenige — schon gar nicht die Bewohner der Neubausiedlungen im Westen Maastrichts oder der besetzten Häuser in Bahnhofsnähe. Die grüne Stadträtin Maya de Bruyin erklärt: „Wir haben hier ganz andere Probleme: Arbeitslosigkeit, Luftverschmutzung und das dreckige Wasser der Maas. Da sollte sich die EG mal drum kümmern.“