„Nicht „peace keeping“ — „peace making“!

■ Dr.Franjo Tudjman, Präsident Kroatiens, zur Stationierung von Blauhelmen und der Anerkennung seines Landes

taz:Herr Präsident, als Sie vor wenigen Monaten zu Gast in der Bundesrepublik waren, machte man Ihnen unmißverständlich deutlich, daß es von der Bundesregierung kein „einseitiges Vorgehen“ in puncto staatlicher Anerkennung Kroatiens geben werde. Dieses Mal kehren Sie mit einer klaren Zusage nach Zagreb zurück. Hätte Ihrer Ansicht nach eine frühere Initiative der Bundesregierung oder eines anderen EG-Staates Menschenleben retten können?

Tudjman:Mit Sicherheit wäre es besser gewesen, wenn Deutschland und andere europäische Staaten Kroatien früher anerkannt hätten. Selbst wenn dies nicht zu einer definitiven Beendigung des barbarischen krieges geführt hätte, so hätte doch zumindest das Ausmaß der Kämpfe geringer gehalten werden können.

Welche Möglichkeiten ergeben sich aus der bevorstehenden Anerkennung Kroatiens durch die Bundesrepublik und anderer EG-Staaten konkret für eine Beendigung des Krieges?

Zunächst: nicht nur Deutschland und viele EG-Staaten werden Kroatien anerkennen, sondern ich bin sicher, daß auch andere Staaten außerhalb Europas diesem Beispiel folgen werden. Dann muß dem Einsatz der UNO-Friedenstruppen folgen, und zwar nicht nur, um ein „peace keeping“, sondern vielmehr um ein „peace making“ zu realisieren.

Nach den Worten des UNO-Sonderbeauftragten Cyrus Vance können die „Blauhelme“ der UNO erst in Kroatien stationiert werden, wenn die Waffen schweigen. Dann aber stellt sich immer noch die Frage, wo dies geschehen soll. Unter welchen Bedingungen halten Sie einen Einsatz der UNO-Truppen auch innerhalb des kroatischen Territoriums für denkbar?

Man hat sich darüber geeinigt, daß es noch vor einer absoluten Waffenruhe zu einem Einsatz der UNO- Truppen kommen soll. Schließlich gibt es neben der jugo-serbischen Armee, dem Hauptaggressor, zahlreiche bewaffnete Gruppen, die am Krieg beteiligt sind. Selbst wenn es also hier und dort noch vereinzelte Kämpfe geben sollte, können die UNO-Friedenstruppen stationiert werden. So jedenfalls ist es vereinbart worden. Wir sind damit einverstanden, wenn sich die Friedenstruppen schon jetzt in den Krisengebieten engagieren. Das kann aber zum einen nur bei einem gleichzeitigen, vollständigen Rückzug der Armee aus Kroatien geschehen. Zum anderen müßten sich dann auch die erwähnten bewaffneten Gruppen aus Kroatien zurückziehen beziehungsweise entwaffnet werden.

Vor zwei Tagen hat das kroatische Parlament — wie unter anderem auch von Bonn gefordert — ein Minderheitenschutzgesetz mit Verfassungsrang verabschiedet. Wieso konnte ein solches Gesetz nicht viel früher beschlossen werden?

Wir haben schon früher in unserer Verfassung die Rechte aller in Kroatien lebenden Minderheiten einschließlich der serbischen garantiert. Darüber hinaus haben wir nunmehr eine zusätzliche Charta im Parlament beschlossen, die diese Rechte noch einmal ausdrücklich unterstreicht. Jetzt wurde von der EG verlangt, daß nicht nur Kroatien, sondern auch andere Republiken des ehemaligen Jugoslawien die Minderheitenrechte garantieren. Wir haben vor zwei Tagen im Sabor dies sozusagen aus gutem Willen noch einmal getan. Damit haben wir nun alle Bedingungen für die Anerkennung Kroatiens erfüllt.

Wegen der Verbrechen des Ustascha-Regimes im Zweiten Weltkrieg wird die heutige kroatische Unabhängigkeitsbewegung oftmals mit Skepsis beurteilt. Schwerbewaffnete Rechtsextremisten mit den alten Ustascha-Uniformen waren auch auf westlichen Bildschirmen zu sehen. Erst kürzlich wurde mit Paraga einer ihrer Führer festgenommen. Wäre eine solche eindeutige Distanzierung vom Faschismus nicht schon zu Beginn des Konfliktes notwendig gewesen?

Wir haben uns schon von Anfang an, mit der Entstehung des demokratischen Kroatien, von den Jahren und Geschehnissen des damaligen Ustascha-Kroatien distanziert. Daß die von Ihnen angesprochenen extremistischen Elemente in der heutigen kroatischen Gesellschaft auftreten, ist leider unvermeidlich. Sicher ist, daß von Belgrad und auch einigen Kreisen im Ausland die Zahl der Extremisten als bedeutend höher dargestellt wurde, als es in Wirklichkeit der Fall ist.

Statt angeblich Zehntausender sind es lediglich einige Hunderte. Diese waren Belgrad und allen, die gegen die Unabhängigkeit Kroatiens waren, sehr willkommen.

Von einem solchen Standpunkt aus gesehen, sind wir auch nicht gegen Paraga, weil er der Vorsitzende einer Partei ist.

Er wurde verhaftet, weil er sich zum Oberbefehlshaber einer, neben den Streitkräften, parallel zu ihr entstandenen militärischen Gruppe proklamiert hat. So etwas kann kein demokratischer Staat in der Welt dulden. Erst recht dann nicht, wenn es sich um eine faschistisch geprägte Gruppe handelt.

Das Interview führte

Hasso Suliak