Genossenschelte aus dem Knast

Ein Tonbandmitschnitt von Gesprächen gefangener ETA-Mitglieder zeigt Dissens in der bewaffneten Organisation/ Verlegung der Häftlinge erschwert Gruppenkontrolle  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Ein vermutlich illegal aufgenommenes Gespräch zwischen zwei gefangenen ETA-Mitgliedern und ihren Familienangehörigen hat eine Spaltung innerhalb der bewaffneten Organisation deutlich werden lassen. „Was für eine Idiotenbande ist das! Ich weiß nicht, ob es der Nationalsport der vier Blödmänner da oben ist, Kinder umzubringen“, wetterte Juan Antonio Urrutia am 9. November im Knast gegenüber seinem Besucher. Mit den „vier Blödmännern da oben“ meinte er die ETA-Führung. Zwei Tage zuvor war bei einem ETA-Anschlag ein zweijähriges Kind ums Leben gekommen, am 17. 0ktober hatte ein 13jähriges Mädchen beide Beine verloren. Der Mord an dem Kind war auch dem gefangenen Etarra Isidro Etxabe in die Knochen gefahren. Am selben Tag wie Urrutia sprach er im Knast mit einem Familienangehörigen. „Sie erzeugen überall Haß“, kritisierte er. „Was wollen sie? So verhandeln? Sie bringen doch alle Welt gegen uns auf. Meiner Ansicht nach ist das Ziel verloren gegangen.“

Die beiden ETA-Häftlinge verneinen, ihre Zustimmung zur Aufnahme der Gespräche gegeben zu haben, geben jedoch zu, daß es sich um ihre Stellungnahmen handelt. Innenminister Jose Corcuera leitete Teile der Aufnahmen Anfang Dezember an eine handverlesene Presse weiter, und Justizminister Tomas de la Quadra ließ am 4. Dezember verlauten, demnächst sollten erneut Gespräche mit der ETA aufgenommen werden.

Die heftige Kritik der gefangenen Etarras macht deutlich, daß nicht nur in der Parteienkoalition Herri Batasuna, die ETA-Positionen vertritt, sondern auch in der bewaffneten Organisation selbst ein Dissens über den bewaffneten Kampf besteht. In den vergangenen Jahren sind die wichtigsten ETA-Kommandos und ihre Infrastruktur aufgeflogen. Die Anschläge der Gruppe, die zunehmend zivile Opfer fordern, haben auch im Baskenland die Unterstützung erheblich reduziert. Die Teile der Nationalisten im ETA-Umfeld, die Verhandlungen statt Anschlägen fordern, sind zwar in der Minderheit, melden sich jedoch zunehmend zu Wort. Nach der Veröffentlichung des mitgeschnittenen Gesprächs wurde bekannt, daß in einer Gruppe von etwa 70 Gefangenen ein Dokument kursiert, das eine harsche Kritik an der augenblicklichen ETA- Führung beinhaltet.

Der öffentlich gewordene Dissens innerhalb des Gefangenenkollektivs ist ein harter Brocken für die bewaffnete Gruppe. Der Verweis auf die einsitzenden „Freiheitskämpfer“ war immer eine der Legitimationen der ETA, den bewaffneten Kampf fortzuführen. Der Ausstieg aus der Einheitsposition und die Annahme von Hafterleichterungen hatten regelmäßig den Ausschluß aus dem ETA-Gefangenenkollektiv zur Folge. Eine Verteilung der ETA-Gefangenen auf alle spanischen Gefängnisse hatte eine Lockerung der Gruppenkontrolle bewirkt. Inzwischen haben nach offiziellen Angaben etwa 50 Gefangene, die dem bewaffneten Kampf kritisch gegenüberstehen, Hafterleichterungen erhalten. Als Reaktion auf die Kritiker sollen andere ETA-Mitglieder nun ein Dokument zur Unterstützung der augenblicklichen Führung ausarbeiten. Zur Unterstreichung, daß ein Ende des bewaffneten Kampfes nicht in Aussicht steht, wird wohl bald ein erneutes Attentat stattfinden.