Berg-Karabach völlig abgeschnitten

Die im Unionsstaatsrat verabredeten Verhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan finden nicht statt/ Verhärtete Fronten in Baku/ In Berg-Karabach gehen die Nahrungsmittel aus  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Auf Regierungsebene ist in den Beziehungen zwischen Armenien und Aserbaidschan eine Ruhe eingekehrt, die sich durchaus noch als Ruhe vor dem Sturm entpuppen könnte. Der Dialog, den die beiden Präsidenten Mutalibow und Ter Petrosian vor zehn Tagen auf Drängen der anderen ehemaligen Sowjetrepubliken vor dem Staatsrat der UdSSR begonnen hatten, fand keine Fortsetzung. Wie uns am Donnerstag mittag ein Vertreter einer armenischen Nachrichtenagentur mitteilte, versuche man sich allerdings über einen Regierungstelefonkanal gerade mit der aserbaidschanischen Seite in Verbindung zu setzen, um wenigstens für Ter Petrossian eine Fernsprechverbindung nach Berg-Karabach zu erhalten.

Aserbaidschan macht armenische Freischärler für eine Flugzeugkatastrophe in Berg-Karabach verantwortlich, bei der 22 hochgestellte Vertreter der aserbaidschanischen, russischen und kasachischen Regierung ums Leben kamen. In einer Erklärung der armenischen Regierung am Mittwoch hieß es, die von Baku vertretene Version gäbe Armenien „von vorn herein und ohne Widerspruchsmöglichkeit“ die Schuld, und die aserbaidschanische Staatsanwaltschaft „ließ erst dann kompetente Experten an den Untersuchungen teilnehmen, als mögliche Beweismittel schon unter dem Druck der in diesem Land einseitig organisierten öffentlichen Meinung entstellt oder gefälscht worden waren“.

In Baku machte sich am Mittwoch diese öffentliche Meinung während eines von der Volksfront des Landes veranstalteten Meetings vor dem Verteidigungsministerium Luft, in dessen Verlauf der Rücktritt des Verteidigungsministers gefordert wurde, weil es ihm bisher noch nicht gelungen sei, die „Nationalarmee“ auf die Beine zu stellen, deren Gründung vor drei Monaten vom aserbaidschanischen obersten Sowjet beschlossen wurde. Redner erklärten dies mit dem Wunsch der aserbaidschanischen Regierung, sich beim Unionszentrum einzuschmeicheln. Gleichzeitig wurde eine Antwortresolution auf den Appell zur Kontaktaufnahme verabschiedet, den die „Armenische gesamtnationale Bewegung“ am 3. Dezember an die Volksfront Aserbaidschans gerichtet hatte. In dieser Antwort heißt es, mit Berg-Karabach verbundene Angelegenheiten „liegen ausschließlich in der Kompetenz des unabhängigen Aserbaidschan“ und daß Aserbaidschan entschlossen sei, „sein Territorium und die Sicherheit seiner Bürger unabhängig von deren Nationalität zu schützen“.

Da die umstrittene Enklave inzwischen völlig von der Außenwelt abgeschlossen ist — Telephon- und Nachrichtenverbindungen sind gekappt, die Straßen zerstört oder blockiert und und die Wasser- und Gasleitungen unterbrochen —, gab es am Donnerstag in Moskau auch keinerlei Nachrichten aus diesem Gebiet. In den Vortagen war es erneut zu Raketenbeschuß der Städte Stepanakert und Schuscha gekommen, es gab Tote und Verwundete unter Armeniern und Aserbaidschanern. Schon seit einigen Tagen waren die Brot- und Mehlvorräte erschöpft, auch andere Lebensmittel sind in den Lagern nicht mehr vorhanden. Wie ein gerade aus Karabach zurückgekehrter Experte unserer Moskauer Redaktion mitteilte, hält er die von der aserbaidschanischen Regierung genannte Zahl von 230 Mitgliedern der aserbaidschanischen Sondereinheiten „Omon“, die in Berg-Karabach eingesetzt sind, für untertrieben, es müsse sich um mindestens 5.000 Mann handeln, dazu kämen etwa immerhin schon 20.000 Mann der offiziell noch nicht formierten Nationalarmee an den Grenzen der Enklave. Von armenischer Seite seien etwa 6.000 Soldaten des Republikinnenministeriums eingesetzt. Über die Anzahl der Freischärler ist wenig bekannt, weil diese offiziell von der armenischen Regierung verboten wurden. Die Sowjetarmee hat in Karabach, in der Stadt Gandscha ein Bataillon eingesetzt: etwa 500 bis 600 Mann. Dazu kommt eine fluktuierende Zahl von Truppen des sowjetischen Innenministeriums, etwa 6.000 bis 8.000 Soldaten. Deren Lebensmittel sind erschöpft.

Der Beobachter versicherte uns, daß sich die Unionsstreitkräfte in der Enklave nach dem Augustputsch in dem Sinne „sehr loyal“ verhielten, daß sie für keine der Seiten Partei ergriffen. Sie täten allerdings „nur in vereinzelten Fällen“ etwas zum Schutze der Bevölkerung. Auf die Frage, ob Sowjetsoldaten Waffen oder Benzin an beide Seiten verkauften, antwortete er: „Natürlich, das sind doch auch nur Menschen“.