: Katzenjammer schon vor der Freudenfeier
Die SPD ist in NRW 25 Jahre an der Macht/ Trotz großer Schwächen der SPD hat die Opposition schlechte Karten ■ Aus Düsseldorf W. Jakobs
„Normalerweise kommt der Kater ja erst nach der Feier, doch diesmal hat er die Akteure offenbar schon vorher erwischt.“ Und darüber freut sich der nordrhein-westfälische CDU- Vorsitzende Norbert Blüm seit Wochen herzlich.
Überraschen kann Blüms Freude nicht, denn es sind die Sozialdemokraten zwischen Rhein und Weser, die der Kater peinigt. So sehr, daß selbst der SPD-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag, Friedhelm Farthmann, seiner Partei vor einigen Wochen eine „depressive Phase“ bescheinigte. Eine weitgehend gescheiterte Kommunalreform, Schulden in Höhe von 110 Milliarden Mark, ein von Kienbaum gutachterlich bescheinigtes Chaos in der Schulpolitik und eine Ministerriege, die selbst Farthmann in weiten Teilen für pensionsreif hält. Das sind die Stichworte der Krise.
Ungelegener hätte das von Farthmann diagnostizierte „Formtief“ kaum kommen können, denn am morgigen Sonntag jährt sich zum 25. Mal der Tag, an dem die Sozis den Schwarzen in Düsseldorf die Regierungsmacht abnahmen — mit Hilfe der FDP. Das sozialliberale Bündnis in Düsseldorf währte bis 1980. Seither regieren die Sozialdemokraten mit Johannes Rau an der Spitze allein. Franz Meyers, bis zum 6. Dezember 1966 CDU-Ministerpräsident, hat das schon damals kommen sehen: Der Machtwechsel bedeute für NRW „30 Jahre Schweden“. Im Nachhinein kann Meyers seinem damaligen Sturz, der „für mich wahrscheinlich ein Stück Lebensrettung bewirkt hat“, persönlich nur Gutes abgewinnen. Ob er ohne die Abwahl, so schrieb der 83jährige Meyers dieser Tage an Farthmann, das hohe Lebensalter erreicht hätte, „ist zumindestens fraglich“. Meyers wird am Sonntag im Landtag auch deshalb dabei sein und „wieder ein gutes Glas auf die 25. Wiederkehr dieses Ereignisses trinken“.
Der aktuelle Spitzenmann der CDU, Norbert Blüm, zieht es dagegen vor, das Gelage zu meiden. Der Bonner Arbeitsminister fürchtet „Beileidsbekundungen“, denn trotz der offensichtlichen Schwächen der Rau-Regierung traut kaum jemand der CDU zu, bei der nächsten Landtagswahl wieder in die Staatskanzlei einziehen zu können. Auch Blüm fürchtet im kleinen Kreis, daß die hausgemachte Krise der NRW-SPD für die CDU viel zu früh gekommen sein könnte. Der Bundesarbeitsminister weiß, daß das aus den Fugen geratene „System Rau“ schon viele Abgesänge überlebt hat.
Das Klagelied der Grünen über die Regierung klingt ähnlich wie bei der CDU: Nach 25 Jahren seien der SPD, so urteilt der populärste Grüne im Düsseldorfer Landtag, der parlamentarische Geschäftsführer Michael Vesper, „die großen Themen und Konzepte ausgegangen“, stünde die Partei ohne politische Ideale da. Die SPD sei inzwischen „verfilzt und verbraucht; sie braucht frisches Blut und neue Ideen — und zwar bald“. Dazu könnte es schneller kommen, als der Opposition lieb sein dürfte. Gerade diejenigen Sozialdemokraten, die um die Jahreswende mit einem sogenannten „Modernisierungspapier“ für innerparteilichen Wirbel gesorgt und den Abschied von den „sozialdemokratischen Lebenslügen“ gefordert hatten, sind auf dem Vormarsch. Dazu gehört die 40jährige Spitzenbeamtin Gabriele Behler aus dem Frauenministerium, die auf dem Parteitag am kommenden Wochenende aller Voraussicht nach zur Stellvertreterin des Landesvorsitzenden Rau gewählt wird, und auch der neue 39jährige Landesgeschäftsführer Bernhard Kasperek. Als die SPD 1966 die Macht übernahm, begann Kasperek nach acht Jahren „Volksschule“ gerade eine Lehre. Wenn in der SPD mit geschwellter Brust auf die Leistungen der letzten 25 Jahre verwiesen wird, dann kommt schnell die Rede auf Menschen wie den „Volksschüler“ Kasperek, der es dank des von der SPD durchlässig gemachten Bildungssystems zum promovierten Ingenieur gebracht hat. Wenn man sich ansehe, daß Mitte der 60er Jahre an pädagogischen Hochschulen im Revier lediglich 2.000 Studierende gezählt wurden, dann könne man heute, wo 148.000 Student Innen an 13 Hochschulen im Revier studieren, „doch ohne jede Überheblichkeit ein bißchen stolz sein“, findet Kasperek.
Scharf geht der Juso-Landesvorsitzende Ralf Krämer, der den „Modernisten“ um Kasperek vorhält, den „Abschied vom Sozialismus“ zu betreiben, anläßlich des Jubiläums die NRW-Parteispitze an. Die versuche in NRW kaum noch „positive Vorstellungen zur Zukunftsgestaltung durch sozialdemokratische Politik glaubwürdig zu vermitteln. Politisch gestalteter Fortschritt findet nicht statt, auch nicht mit der SPD.“ Dieser Kritik liegt möglicherweise ein fundamentales Mißverständnis zu Grunde. Es war nie Sache von Rau, seine Politik an sozialistischen Gesellschaftsentwürfen zu messen, sondern Rau war immer ein Propagandist der kleinen Schritte — aus Überzeugung. Zu den großen Versprechungen der Sozialisten und Marxisten wahrte Rau Distanz: „Wer den Himmel auf Erden verspricht, der schafft die Hölle, der geht über Leichen, der kann gar nicht anders als mit dem Blick auf das, was angeblich kommt, das, was jetzt ist, gering zu achten.“
Mit einem Mangel an Visionen und großen Konzepten hat die derzeitige Krise der Rau-Regierung gewiß am allerwenigsten zu tun. Im Gegenteil, schwach wirkte die Regierung immer dann, wenn die zügige Umsetzung pragmatischer Konzepte an politisch-handwerklichen Mängeln der beteiligten Ministerien — etwa beim Kindergartengesetz — scheiterte. Unterdessen hofft Norbert Blüm weiter. Hilfe auf dem Weg in die Düsseldorfer Regierungszentrale erwartet er sich dabei von Kanzler Kohl. Der hat in der Tat den größten Trumpf in der Tasche. Würde Kohl, was er angedeutet hat, Rau mit Hilfe der CDU-Stimmen 1994 zum Bundespräsidenten machen, wäre die schlimmste Hürde für die NRW- CDU beseitigt. Blüm spricht gern davon, daß Rau „starke Symptome der Lauerstellung“ in Richtung Bundespräsidialamt zeige. In der Düsseldorfer SPD-Zentrale liegt eine aktuelle Wahlumfrage, die erhellt, warum Blüm Rau dort gern sähe: Die Zustimmung für Rau liegt bei 67, die für Blüm bei unter 30 Prozent.
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