Besser Hühneraugen als Pflegerisiko

■ SPD und CDU/CSU im Bundestag einig über Pflegeversicherung/ FDP denkt zuerst an die Lohnkosten/ Sprengstoff für Koalition/ Blüm will mit überparteilichem Kompromiß seine Haut retten

Bonn/Berlin (dpa/taz) — Noch in dieser Legislaturperiode wollen CDU/CSU und SPD einen Kompromiß zur Einführung einer Pflegeversicherung finden. Die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Heiner Geißler (CDU) und Rudolf Dreßler (SPD) machten sich gestern im Bundestag für eine Sozialversicherung zur Absicherung des Pflegerisikos im Alter stark, deren Beiträge ebenso wie Abeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung je zur Hälfe von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgebracht werden. Die FDP dagegen will nach den Worten ihres Sozialpolitikers Dieter-Julius Cronenberg eine private Pflichtversicherung, bei der jeder Erwachsene die Vorsorge ohne Arbeitgeberanteil selbst treffen soll.

In der Debatte über den SPD-Gesetzentwurf zur Pflegeversicherung wurde erneut deutlich, daß Sozialdemokraten und Unionsparteien sich in diesem zentralen Punkt der Sozialpolitik näher stehen als die Partner in der Regierungskoalition. Geißler meinte, die CDU/CSU sei als Volkspartei in der Pflicht, diese das Schicksal vieler Million Menschen betreffende Frage endlich befriedigend zu lösen. Er plädiere nicht für wechselnde Mehrheiten im Parlament, aber — so Geißlers Wink mit dem Zaunpfahl — die FDP müsse den Ernst der Lage klar erkennen. Die Koalitionsmehrheit werde „zum größeren Teil von der Union erwirtschaftet“. Zu den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft gehörten das Prinzip der Solidarität und des Wohlstandes für alle — und nicht nur für zwei Drittel der Menschen.

Der SPD-Sozialpolitiker Dreßler forderte die Koalition auf, ihre „Selbstblockade“ zu brechen. Aus der „verbalen“ Mehrheit für einen vierten Sozialversicherungszweig müsse eine politische Mehrheit werden. Dreßler warnte vor parteitaktischen Absprachen innerhalb der Koalition: „Wenn der ausgewiesene Pflegeexperte Helmut Kohl und der ausgewiesene Pflegeexperte Otto Graf Lambsdorff die Einzelheiten einer Koalitionsvereinbarung aushandeln, ist Gefahr im Verzug.“ Der Gesetzentwurf der SPD sieht einen Beitragssatz von 1,4 Prozent vor, der je zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen werden soll. Auch Beamte und Selbständige sollen beteiligt werden. Das CDU-Modell geht von einem 1,5prozentigen Beitragssatz aus. Cronenberg dagegen warnte vor jeder Steigerung der Lohnnebenkosten.

Bundesarbeitsminister Blüm (CDU) meinte, der Sozialstaat bekomme Schlagseite, wenn „Hühneraugen auf Krankenschein behandelt, Pflegerisiken aber privat versichert“ würden. Blüm hat sein politisches Schicksal mit dem Reformwerk verbunden. So äußerte er sich — trotz aller gegenteiligen Anzeichen — optimistisch über die Chancen, den koalitionsinternen Sprengstoff zu entschärfen. Er setzt auf eine überparteiliche Einigung unter Einschluß der Sozialdemokraten, der sich die FDP dann nicht entziehen kann. marke