Gastkommentar

■ Partei der Individuen * Grüne Basis protestierte gegen Mauschelverfahren

Ulrich Mückenberger ist Jurist an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik und lehrt als Gastprofessor an der Universität Bremen, Fachbereich Rechtswissenschaft, Arbeits-und Sozialrecht. Vor der Bürgerschaftswahl im September war er Initiator einer Wählerinitiative für Rot-Grün.

Christine Bernbacher hat den Grünen statt einer Selbstzerfleischung eine Denkpause anzuraten. Seitens der SPD hat dies gleichfalls Horst Isola getan, wenn er öffentlich darüber nachdachte, einen SPD-FDP-Minderheitssenat zu bilden und ihn erst im Januar zu vervollständigen. Beide haben recht.

Die Grünen geben sich gern als eine Partei der Bewegungen und Initiativen. Aber an ihnen kann man sämtliche Symptome der neuartigen Individualisierung erkennen. Im Guten wie im Schlechten. Gäbe es das in einer anderen Partei, daß in der Schlußrunde um das Pro und Contra der Ampel selbst die Befürworter nicht zugunsten des Senator-Kandidaten zurückziehen? Daß auch nach dem endgültigen Beschluß die Diskussion um die „eigentlich richtige“ Senatsbesetzung weitergeht? Daß ein prominenter Ampelgegner, der sich früher gegen Rot-Grün aussprach, weil dies die Grünen zu stark auf die Institutionen hin orientiere, nunmehr öffentlich Rot-Grün gegen Ampel ausspielt? Nein — so etwas ist typisch für die Grünen. Sie wissen oft nicht, was sie wirklich wollen. Und sie haben noch kein Verfahren entwickelt, herauszufinden, was sie wirklich wollen.

Die Grünen sind aber auch mehr als jede andere Partei eine Partei des Diskurses. Dies hat sie zur Absage an die Ampel geführt. Die Mitgliederversammlungen (soweit ich sie beobachten konnte) haben diesen Diskurs nicht dargestellt. Die Koalitionsverhandlungen — selbst Meisterstücke der Verhandlungskunst, die darin enthalten sind — sind halböffentlich geblieben. Die Mauschelei um die elf Senatorensitze hat ein übriges getan. So etwas bringt Individuen, die sich in der kommunkikativen Auseinandersetzung ernst und wichtig genommen sehen wollen, zu Protesthaltungen, selbst wenn sie — bei hinlänglicher Zeit und Gelegenheit für inhaltliche Auseinadersetzungen — das Ampel- Projekt befürworten.

Als Protest aus der Situation heraus gegen das eilige und unoffene Verfahren, nicht — wie die Spitzenverhandler es in der ersten Enttäuschung über die Abstimmungsniederlage getan haben — als dezidierte politische Haltung deute ich die Abstimmung vom 7. Dezember. Nehmen wir sie als das Einklagen eines mangelnden Diskurses, dann gibt die Forderung nach Denkpause Sinn. Dann sollte die SPD Isolas Position übernehmen, den Senat erst im Januar zu vervollständigen (ohne aber den Grünen den Sündenbock für den elften Senatsposten zuzuschieben!). Dann sollten die Grünen die genaue inhaltiche Auseinandersetzung nachholen, die bislang gefehlt hat. Und dann sollten die Individuen, die sich jetzt nur gegen die „Macher“ aufgelehnt haben, zeigen, was sie wirklich wollen.

Gelingt dies nicht, ist die Partei der Individuen in Wirklichkeit keine Partei. Ulrich Mückenberger