Von L.A. lernen heißt stauen lernen

Berlin. Darf man sich um ein akademisches Viertelstündchen verspäten? Für die neun Millionen Amerikaner in Los Angeles County ist dies längst keine Frage des Dürfens mehr. Täglich »verlieren« sie 485.000 Stunden, weil sie nicht vorankommen oder auf etwas warten müssen — die Hälfte davon stehen sie mit ihrem Auto auf dem Highway im Stau, berichtete Jackie Barabach, Mitglied einer regionalen Verkehrskommission, am vergangenen Samstag auf der »Verkehrswerkstatt«. Sie war von Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) zu dem öffentlichen Diskussionsforum eingeladen worden, um die Verkehrsplanung der weltweit motorisiertesten Region zu erläutern.

Doch die Erwartungen der Berliner Verkehrsinitiativen mußte Barabach enttäuschen. Vorbildlich an der amerikanischen Kommune ist nur, daß die Verkehrsprojekte auf ihre Umweltverträglichkeit geprüft werden und die Umweltbehörde den Projekten zustimmen muß. Ansonsten scheint Los Angeles in der Verkehrsplanung nur ein abschreckendes Beispiel zu sein.

Erst 1990 wurde die erste U-Bahn-Linie eröffnet. Den Kaliforniern schien das öffentliche Verkehrsmittel so unbekannt zu sein, daß sie wegfahrenden Zügen auf den Gleisen hinterliefen und Bahnübergänge mit ihren Autos schneller als der Zug passieren wollten. »Das führte zu schweren Unfällen«, berichtete die Amerikanerin. Die Verkehrskommission habe die Leute mit einer Kampagne aufklären müssen.

Um die Verkehrsprobleme zu bewältigen, strebe man in Los Angeles County an, ein Fünftel des gesamten Verkehrs mit öffentlichem Nahverkehr zu bewältigen — jetzt habe die Bahn und der Bus einen Anteil von 10 Prozent, der motorisierte Individualverkehr — Fahrten mit dem Auto und dem LKW — einen von 90 Prozent. Zum Vergleich: Der Berliner Senat will den Anteil des öffentlichen Nahverkehrs von derzeit 20 auf 80 Prozent steigern. In Los Angeles sollen für 61 Milliarden Dollar 400 Meilen Schienennetz wiederhergestellt werden. Grundsätzlich würden keine neuen Freeways (Autobahnen) mehr gebaut, sagte Barabach, dennoch sollen aber »Engpäße« ausgebaut und Verbindungen zwischen verschiedenen Freeways hergestellt werden.

Um den Stau zu bewältigen, hat die Verkehrskommission auch eine »Freeway Service Patrol« — eine Art Abschleppdienst — eingerichtet. Brauchte man bisher 26 Minuten, um auf dem Highway ein Autopanne zu entdecken und den kaputten Straßenkreuzer von der Fahrbahn zu rollen, so dauert es heute nur noch sieben Minuten. Der Service ist kostenlos. »Hauptsache, es geht schnell weiter«, begründete Barabach die kommunale Dienstleistung. Die Zeitverschwendung von täglich 485.000 Stunden Verspätung koste schließlich umgerechnet 507 Millionen Dollar am Tag.

Die »Commissionerin« wunderte sich, daß sie zur Berliner »Verkehrswerkstatt« eingeladen war. Ihr Eindruck sei, daß nicht Berlin von L.A. lernen könne, sondern umgekehrt. Unter anderem war sie von der Busspur auf dem Ku'damm beeindruckt — so etwas stelle sie sich auch für ihre Stadt vor. Dirk Wildt