Kafka auf dem LSD-Trip

■ Terry Gilliams „Brazil“, Mo., 23.00 Uhr, ARD

Irgendwo in einem totalitären Überwachungsstaat: „Unsportliche“ Terrorakte gehören ebenso zum Alltag wie ein Heer plastischer Chirurgen. Ein gigantisches Informationsministerium sammelt sämtliche Daten seiner Bürger, um sie in einem gedärmartigen System aus Rohrpost- Leitungen zu verdauen.

Das Schicksal des einzelnen hängt zuweilen an einer winzigen Buchstabendifferenz. Der allmächtige Zufall will es, daß durch eine herabfallende Stubenfliege der Computerdrucker statt des subversiven Heizungsmechanikers „Tuttle“ (Robert De Niro) den Namen „Buttle“ ausspuckt und damit im Handumdrehen ein unschuldiges Leben auslöscht. Der verträumte Buchhalter Sam Lowry (Jonathan Pryce), ein winziges Rädchen im Getriebe des Staatsapparates, soll den Fehler ordnungsgemäß korrigieren. Er trifft dabei im sprichwörtlichen Sinn auf seine Traumfrau Jill (Kim Griest), die im bürokratischen Computernetz als Terroristin geführt wird. Beim Versuch, sie zu befreien, gerät er in eine immer enger werdende Spirale aus Überwachung, Staatsterror und Gedankenpolizei, an deren Ende die Folter steht. Kein anderer als sein alter Freund Jack (Michael Plain) tritt als Folterknecht auf.

Zusammen mit der inzwischen ermordeten Jill entkommt Lowrey den Schergen ins Labyrinth seiner Traumwelt, in der er als gepanzerter Ikarus mit dem Schwert gegen Spielzeugriesen antritt. Tatsächlich summt er, zerstört und gebrochen, nur noch stupide einen Schlager vor sich hin: Brazil. Idiotie als letzte freie Spielwiese für Aufsässige.

Bei Gilliam hat der Zuschauer stets die Wahl zwischen der apokalyptischen und der karnevalistischen Perspektive. Wie eine Mischung aus Altmetall-Skulpturen und Zahnarztbohrer umragen krakenartige Bildschirm-Tentakel die Menschen, grotesk und bedrohlich zugleich. Derweil selbst die Schmerzensschreie der Gefolterten von gutgelaunten Stenotypistinnen notiert werden, spielen in ewig finsteren Kellern Arbeiter in Strahlenschutzanzügen Volleyball. Von abgründigem Humor sind die neurotischen Kleinkriege zwischen katzbuckelnden Angestellten, als hätte Kafka LSD geschluckt.

Mit seiner in atemberaubendem Trailer-Tempo inszenierten surrealistischen Fantasy-Revue hat Regisseur Gilliam (Jabberwocky, König der Fischer) eine kongeniale Mischung zwischen den zusammenhanglosen Nonsens-Späßen seiner Monthy-Python-Truppe und einer hermetischen Zukunftsvision geschaffen, in der noch das Happy-End ein grausamer Scherz ist. Manfred Riepe