Gescheiterter Epigone

■ Michael Rosenzweig in der Berliner Akademie der Künste

Wegen Tonsetzern, die sich der Idiome vergangener Zeiten befleißigen, wird von Feuilletonisten gerne der Postmoderne-Streit aufgewärmt — die Diskussion darüber, ob ein Rückgriff auf historische Tonsprachen statthaft ist oder nicht. Es ist aber nicht immer nötig, grundsätzlich zu werden, denn selbst unschöpferische Nachahmungen eines Stils setzen voraus, daß sie ihn treffen. Das berührt dann „nur“ Fragen des Handwerks.

Die am 3. Dezember in der Akademie der Künste (West) aufgeführten Stücke des südafrikanischen Komponisten Michael Rosenzweig sind Musterbeispiele für einige weitverbreitete Mißverständnisse bezüglich der Beliebigkeit des Komponierens. Da ist zum einen die Annahme, daß die Instrumentalisten wie im Falle des Octet for Strings (1987) permanent spielen müßten. Das führt zwar zu einem optimalen Preis-Leistungs-Verhältnis, aber Vollbeschäftigung war noch nie ein Garant für Qualität. Die acht Streicher nudeln pausenlos freitonale Linien vor sich hin, die sich gegenseitig ersticken und annullieren. Heraus kommt ein konturloser grauer Brei in Einheitslautstärke, von musikalischen Situationen, von Spannungsbögen oder Kontrasten keine Spur. Zu spüren ist der Wille zum spätromantischen Gestus, allein es fehlt die Kompetenz.

Das betrifft schon ein zweites Mißverständnis: die Verwechslung von Masse und Struktur. Bei der Sinfonietta II, einer Uraufführung, bewegt sich jedes Instrument des umfangreichen Kammerorchesters mit einer eigenen Stimme — Kontrapunkt wäre zu viel gesagt — durch die Partitur. Daraus resultiert weniger ein komplexes Gebilde als vielmehr ein diffuser Brei. Er ähnelt altem Quark: Zwar hat jeder einzelne seiner unzähligen Risse einen eigenwilligen und komplizierten Verlauf, aber aus einer anderen Perspektive gesehen, handelt es sich doch nur um eine amorphe Masse abgestandener Milch — Komplexität und Fülle sind zweierlei. Durch die Interpretation wurde der Mangel an dynamischer, rhythmischer und artikulatorischer Differenzierung noch eklatanter.

Rosenzweig, der es nicht lassen wollte, selbst zu dirigieren, werkelte mit großer pauschaler Gestik, die dem Ensemble offensichtlich ein Rätsel blieb. Die Einsätze klapperten, die Rhythmen liefen auseinander. Bei der Sinfonietta (1986), die auf ausladende Unisonolinien als strukturierenden Kitt setzt, wurde die Überforderung des Ensembles transparent. Mit fiepsigem, klagendem Ton suchten die Streicher nach Orientierung im Wunderland der Intonation und verbanden sich mit der muffigen Akustik der Akademie zu einem schaurigen Klangpanorama.

Ein rundum unerquickliches Ereignis also, an dem lediglich die Kürze des Programms positiv auffiel. Nun sollte man, wenn es um die Beurteilung des Nachwuchses geht, die Meßlatte nicht allzu hoch legen, denn gut Ding will Weile haben. Allerdings will das Boris-Blacher-Ensemble mehr als ein Schülerorchester sein, es hat „sich zur Aufgabe gemacht, die neuere Musikproduktion durch Aufführungen auf hohem Niveau zu fördern“, ein Anspruch, von dem es meilenweit entfernt ist. Und Michael Rosenzweig ist kein musikbegeisterter Abiturient, der den Kompositionspreis seines Gymnasiums gewonnen hat, sondern mittlerweile neunundreißig Jahre alt und Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Da wird die Sache schon bedenklich. Frank Hilberg