„Laß mich mit dem Scheiß in Ruhe“

■ Die zwanzig Ex-DDR-Trainer, die sich vergangene Woche selbst des Dopings bezichtigten, blieben bei der 1. Sprint-Europameisterschaft der Schwimmer in Gelsenkirchen überraschend schweigsam

Gelsenkirchen (taz) — Manni Pohl hat in seiner langen Dienstzeit als oberster Bademeister im Gelsenkirchener Zentralbad so einiges erlebt. Kinder, die mit Pommes am Beckenraum rumlaufen, ebenso wie tollkühne, waghalsige Springer. Und immer behielt der 47jährige Mann die Ruhe. Doch an diesem Wochenende ging es nicht mehr. „So was habe ich hier noch nie erlebt, so viel Theater um die paar Minuten“, sagte er völlig fertig. Was ihn so mitnahm, waren die ersten Sprint-Europameisterschaften im Schwimmen.

Die wollte zunächst sowieso keiner haben. England sagte ab, Jugoslawien konnte nicht, und so griff die ständig auf Imageverbesserung harrende Kohlenpottstadt Gelsenkirchen zu. Manni Pohls Schwimmbecken wurde extra um acht Millimeter verlängert. Bei genauem Nachmessen entpuppte sich nämlich die 25-Meter-Bahn eben um diese Länge zu kurz.

Viel mehr Sorge aber als die Schließung des öffentlichen Badebetriebs oder die Vorverlegung des Schalker Spiels oder die Umbaukosten in Höhe von 400.000 Mark machte jedoch den Funktionären eine Stellungnahme von zwanzig Schwimmtrainern aus der Ex-DDR. Die gaben unter der Woche frei zu, was ohnehin jeder wußte. Die meisten der sozialistischen Botschafter in der Badehose waren gedopt und deshalb eben immer um die paar Zehntel schneller als die kapitalistischen.

Das Problem ist, daß die Erklärung im Wortlaut im Tresor des Ex- Schwimmverbandschef Harm Bayer liegt. Einzig er kennt die Namen. Zwar kommt nun nach und nach raus, wer da unterschrieben hat, doch wird die Selbstbezichtigung behandelt, als gäbe es sie gar nicht. „Ich habe unterschrieben, und die Dopingliste ist meterlang“, erklärt der Trainer der SG Berlin und heutiger Assistenz-Nationaltrainer Volker Frischke. Doch auch ihm sind nähere Einzelheiten nur schwer zu entlocken. „Wir haben lediglich zugegeben, daß bei uns gedopt wurde. Nicht aber, daß wir das Zeug in den Händen hatten oder gar die Sportler dazu animiert haben“, erklärt er.

Andere Trainer und Sportler reagieren ähnlich verschlossen. Es riecht geradezu nach einem klassischen Rückzieher. „Lassen Sie mich mit diesem Scheiß in Ruhe“, so reagiert der Ex-DDR-Schwimmer und heutige Bonner Silko Günzel auf das Unwort Doping. „Es wurde doch überall gedopt, natürlich auch im Westen“, so spricht der Berliner Coach Hans-Ulrich Lange.

Warum aber geben sich die mutigen Bekenner plötzlich so schweigsam, nachdem sie vor einer Woche erst den Mund so voll nahmen? Eine Antwort gibt ein Blick in die Zukunft der Trainer. Die liegt nämlich völlig im ungewissen und sieht alles andere als rosig aus. Sämtlichen zwanzig Selbstbezichtigern ist zum 31. Dezember gekündigt. Und sie wissen noch nicht, ob sie vom Deutschen Schwimm-Verband übernommen werden. „Wer übernommen wird, hängt einzig von der Zuteilung der Finanzmittel seitens des Bundesministeriums des Inneren ab“, erklärt ein Funktionär. An Seiters Haushalt also, nicht etwa an Dopinggeschichten, soll sich die Jobzukunft der Trainer in den neuen Bundesländern entscheiden.

Wie umstritten die Weiterbeschäftigung der Trainer in der West-Mannschaft ist, unterstreichen zwei Stellungnahmen. Der Männer- Nationaltrainer Manfred Thiesmann: „Ich habe nichts gegen eine Übernahme. Mit denen kam ich immer gut aus.“ Ein Schwimmer: „Ich bin gegen eine Generalamnestie. Wir sollen Vorbilder sein.“ Torsten Haselbauer

50 m Freistil: Gold: Simone Osygus (Wuppertal) 25,04 Sekunden - Deutscher Rekord, Silber: Daniela Hunger (Berlin) 25,49 Bronze: Louise Karlsson (Schweden) 25,76.

Männer: 50 m Schmetterling: Gold: Jan Karlsson (Schweden) 24,32 Sekunden Silber: Nils Rudolph (Hamburg) 24,46 Bronze: Wladislaw Kulikow (UdSSR) 24,52.

4x50 m Freistil: Gold: BRD (Silko Günzel/ Bonn, Nils Rudolph/Hamburg, Ingolf Rasch/ Berlin, Bengt Zikarsky/Würzburg) Silber: UdSSR 1:29,39, Bronze: Großbritannien 1:31,58. 100 m Lagen: Gold: Josef Hladky (Heidelberg) 55,28 Sekunden, Silber: Ron Decker (Niederlande) 55,45, Bronze: Inderk Sei (Estland) 55,83. 50 m Rücken: Gold: Jani Sievien (Finnland) 25,18 Sekunden - Europarekord Silber: Wladimir Selkow (UdSSR) 25,68 Bronze: Jens Bünger (Hamburg) 25,83.

Frauen: 50 m Brust: Gold: Peggy Hartung (Leipzig) 31,61 Sekunden Silber: Sylvia Gerasch (Berlin) 31,87 Bronze: Jana Dörries (Potsdam) 32,25. 4x50 m Lagen: Gold: BRD 1:53,13 Minuten — Weltrekord (Sandra Völcker/Hamburg, Sylvia Gerasch/Berlin, Christiane Sievert/Leipzig, Daniela Hunger/Berlin; * Startschwimmerin Sandra Völcker (Hamburg) schwamm über 50 m Rücken in 28,68 Sekunden Weltrekord), Silber: Italien 1:55,84, Bronze: Großbritannien 1:56,19.