Jugoslawische Armee außer Kontrolle

Wer gab den Befehl zum Angriff auf Dubrovnik?/ Die jugoslawische Armee zerfällt in drei Strömungen/ Der stellvertretende Verteidigungsminister als Vorreiter des großserbischen Flügels  ■ Von Roland Hofwiler

Budapest (taz) — „Die Bombardierung von Dubrovnik ist ein Versehen.“ So am Wochenende der jugoslawische Verteidigungsminister Veljko Kadijevic vor PressevertreterInnen in Belgrad. Weder er noch die Spitze der Bundesarmee hätten den Befehl zu dem neuesten Großangriff nach 67tägiger Belagerung gegeben, bei dem mindestens neunzehn Menschen getötet und ein Drittel der historischen Altstadt beschädigt wurden. Kadijevic, ein herber Lügner? War es denn tags zuvor nicht der General, der vollmundig verkündete: „Die Kroaten beschießen Dubrovnik selbst, um so die jugoslawischen Streitkräfte in Mißkredit zu bringen“? Nun sichert Kadijevic plötzlich zu, er werde eine Untersuchungskommission einrichten, die die Verantwortlichen für diesen Angriff in den eigenen Armeekreisen ausfindig machen solle. Miodrag Jokic, der Kommandant für Dubrovnik, werde auf jeden Fall zur Rechenschaft gezogen.

Was verbirgt sich hinter diesen Worten des jugoslawischen Verteidigungsministers, der sich seit der Entmachtung von Staatspräsident Stipe Mesic, einem Kroaten, gerne als selbstherrlicher Oberbefehlshaber der Armee aufspielt? Hat er wirklich nicht mehr alle Zügel in der Hand? Heißt der General, der in diesen Tagen Dubrovnik, die „Perle der Adria“, in Schutt und Asche bombardieren läßt, in Wirklichkeit Blagoje Adzic, der stellvertretende jugoslawische Verteidigungsminister?

Davon ist nicht nur der bosnische Präsident Alija Izetbegovic überzeugt, der nach Radio Sarajevo bei seiner Begegnung mit dem UN-Sonderbeauftragten Cyrus Vance am Freitag erklärt haben soll: „Adzic ist ein Cetnik, der wird keine kroatische Stadt verschonen und selbst UNO- Blauhelmen den Krieg erklären.“ Nimmt man die Recherchen der wenigen unabhängigen Zeitungen zwischen Skopje und Ljubljana ernst, so ist der eigentliche Kriegstreiber Serbiens Blagoje Adzic, in der Armeehierachie offizieller Stellvertreter von Kadijevic. Adzics soll mit eigenen Truppen kürzlich ein „Kampfbündnis“ mit dem fanatischen Freischärlerführer Vojislav Seselj eingegangen sein, der offen an die Traditionen der faschistischen Cetniks des Zweiten Weltkriegs anknüpft. Und was immer in New York, Maastricht, Brüssel oder Genf zu Jugoslawien ausgehandelt werde, werde diese beiden Kriegstreiber unbekümmert lassen. Davon gleichermaßen überzeugt sind die kritischen Wochenblätter 'Vreme‘ (Belgrad), 'Danas‘ (Zagreb) und 'Mladina‘ (Ljubljana).

Trotz politisch recht unterschiedlicher Ausrichtung glauben die seriösen Blattmacher aller drei Redaktionen zu wissen, in der jugoslawischen Volksarmee herrschten drei divergierende Strömungen vor: zum einen die radikalste, die „großserbische“, mit Adzic und dem Leiter des militärischen Abschirmdienstes KOS, Marko Negovanovic, an der Spitze. Ihnen gehe es zusammen mit Seselj darum, zwei Drittel des kroatischen Territorium einem neuen „Serbien“ einzuverleiben. Mit dem einem Drittel bereits „befreiten Territoriums“ wollten sie sich nicht abgeben. Anders dagegen das „Milosevic-Lager“ um den serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic und Verteidigungsminister Kadijevic. Beide strebten zwar ein „vergrößertes Serbien“ an, doch als „Realisten“ seien sie sich dessen bewußt, daß man allein mit Waffengewalt und ohne Diplomatie diesen „serbischen Traum“ nicht verwirklichen könne ('Vreme‘).

Zu diesen beiden Strömungen kommt noch eine dritte Fraktion um den ehemaligen Verteidigungsminister Branko Mamula, heute Vorsitzender einer kommunistischen Partei mit dem Namen „Bewegung für Jugoslawien“, hinzu. Diese „Bewegung“ betrachtet sich als Nachfolgeorganisation der titoistischen KP und versucht mit allen Mitteln an einem wenngleich verkleinerten, so doch „föderativen Jugoslawien“ festzuhalten. Wie nun diese drei Fraktionen zueinander stehen und wie das derzeitige Kräfteverhältnis in der Armee tatsächlich aussieht, wagt zur Zeit in Jugoslawien niemand zu sagen. Aber in zahlreichen Presseberichten wird aufgezeigt, wie es zu der Zersplitterung der jugoslawischen Streitkräfte kam und wie dadurch die Gefahr einer Libanonisierung Jugoslawiens immer mehr zunimmt.

Einigkeit herrschte in der Generalität demnach noch vor, als im Juni der Blitzkrieg gegen Slowenien unternommen wurde. Damals gründete sich ein sogenannter „Kommandostab“ mit 16 Generälen an der Spitze, die sich als die „letzten Retter“ des zusammenbrechenden Vielvölkerstaates betrachteten. Chef des „Kommandos“ war schon damals General Blagoje Adzic, sein Stellvertreter Veljko Kadijevic. Auch die anderen Militärs waren keine Unbekannten. Darunter befand sich Stevan Mirkovic, der öffentlich den versuchten Staatsstreich in der Sowjetunion gegen Gorbatschow begrüßte. Makro Negovanovic, auf dessen Konto als Chef des militärischen Abwehrdienstes noch in den letzten Jahren die Ermordung von Regimekritikern und Emigranten ging, gehörte ebenfalls zum „Kommandokreis“. Und zu guter Letzt noch Branko Mamula, bis 1988 Verteidigungs- und Armeechef, von dem man weiß, daß er während seiner Amtszeit mehrmals mit dem Gedanken spielte, die damals experimentierfreudige reformkommunistische Regierung Sloweniens durch einen „lokalen Putsch“ abzusetzen.

Nach den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens am 25. Juni sah Mamula dann erneut seine Zeit gekommen, als letzter „jugoslawischer Retter“ zuzuschlagen. In mehreren Interviews machte er seitdem kein Hehl daraus, daß er zusammen mit Veljko Kadijevic den Slowenen eine „Straflektion“ erteilen wollte. Ein Blitzkrieg, der, wie man weiß, militärisch fehlschlug. Die slowenische Territorialverteidigung fügte der waffenstrotzenden Bundesarmee eine empfindliche Niederlage zu — Mamula wie Kadijevic verloren unter der Generalität ihre Autorität. Blagoje Adzic übernahm beim nächsten Militärschlag gegen Kroatien, der zweiten abtrünnige Republik, das Kommando. So wollten es Militärexperten bereits im Sommer in Erfahrung gebracht haben. Eine „Straflektion“, die immer mehr in einen kroatisch-serbischen Krieg ausartet. Und die möglicherweise auf andere Regionen des zusammenbrechenden Jugoslawien übergreifen wird, da die Entsendung von UNO-Blauhelmen immer unwahrscheinlicher wird und die Bombardements der Bundestruppen immer irrationaler.