Disneyland befreit!

■ Aufregende Klangschöpfer: Das Gerry Hemingway Quintet im KITO

Es kamen weniger als erwartet: auf die Bühne und leider auch vor die Bühne. Der Cellist Ernst Reijseger liegt im Krankenhaus, und so wurde aus dem Quintett ein Quartett. „Amadeus“ im Fernsehen und Gabriele Hasler bei Dacapo waren wahrscheinlich für die vielen freien Stühle verantwortlich, aber die etwa vierzig Zuhörer bekamen durchaus kein Sparprogramm vorgesetzt.

Für Gerry Hemingway ist die Bezeichnung Schlagzeuger viel zu grob und eng. Der junge New Yorker schlägt nicht nur auf seine Trommeln und Becken: er reibt auf ihnen, pocht, klingelt, rattert, kratzt oder rubbelt, und schafft derart ganz neue, oft eher schwebende Klänge, die mit der herkömmlichen Rhythmusmaschine Schlagzeug nur noch sehr wenig zu tun haben.

So skurril und originell wie sein Trommelvokabular sind auch die Kompositionen von Hemingway: Jazz in merkwürdigen Instrumentrierungen, der pendelt zwischen präzise durchstrukturierten Arrangements und freien Ensemble-Improvisationen.

Das hört sich oft sehr abenteuerlich an, denn auch die drei Mitmusiker spielen ihre Instrumente nicht unbedingt so, wie es im Lehrbuch steht. Posaunist Wolter Wierbos klingt so, als würde er abwechselnd in Freejazzclubs und dann wieder in Disneyland auftreten. Zum Teil schmatzt und quiekt er wie Micky Maus, dann nimmt er sein Instrument gleich ganz auseinander und läßt die einzelnen Teile ploppen wie den Gummipfropf im Waschbecken, aber gleich danach bläst er wieder in „traditioneller“ Jazzmanier.

Michael Moore erzeugt auf Alt- Saxophon, Klarinette und Baß-Klarinette ähnlich schräge Sounds, Bassist Mark Dresser schlägt auch schon einmal mit einer Eisenstange auf den Saiten herum, aber all dies sind wohlgemerkt keine Experimente im Stil des Freejazz, sondern genau arrangierte Soundschöpfungen, die manchmal witzig, oft absonderlich schön und immer aufregend vielschichtig klingen.

Das Quartett spielte die mit Polyrhythmen und Kontrapunkten vollgestopften Kompositionen mit einer swingenden Eleganz und Intensität, die es an nichts fehlen ließ. Aber natürlich ist man jetzt gespannt, wie das akustische und elektrische Cello den Sound der Band bereichert hätte. Vielleicht kommt ja auch das vollständige Quintett noch einmal nach Bremen und spielt für ein etwas zahlreicheres Publikum. Willy Taub