: Gegen Schamir — für Israel
Die heute beginnenden Nahostverhandlungen könnten zum Testfall für die Beziehungen zwischen US-Juden und israelischer Regierung werden ■ Aus Washington Rolf Paasch
Nach langem diplomatischen Gerangel, nach einer bockigen Verzögerung durch die Israelis und dem Begehen des Jahrestages der „Intifada“ durch die Palästinenser ist es nun so weit. Heute sollen sich die Teilnehmer an den Friedensverhandlungen für den Nahen Osten nach der Madrider Eröffnungskonferenz in den Räumen des US-Außenministeriums in Washington erstmalig zu ernsthaften Gesprächen zusammenfinden, wenn man den Äußerungen von Vizeminister Benjamin Natanjahu folgt, der bereits seit letzter Woche in den USA ist. Der israelische Ministerpräsident Schamir hingegen erklärte, es werde zunächst um „technische Einzelheiten“ der Verhandlungen gehen. Im Zentrum der dreigeteilten Verhandlungen sollte eigentlich der Versuch stehen, über die Zukunft von Westbank und Gaza-Streifen zu sprechen. Die israelische Delegation, so hat Jerusalem angekündigt, werde „konstruktive Vorschläge“ über eine „Teilautonomie“ für die Westbank und den Gaza-Streifen vorlegen. Die Palästinenser scheinen, was das Ausmaß dieser „Autonomie“ angeht, durchaus flexibel zu sein. Sie werden diese Autonomie aber in jedem Fall als die „Keimform“ eines zukünftigen palästinensischen Staates betrachten und auf einem sofortigen Siedlungsstopp Israels in den besetzten Gebieten mit Sicherheit weiterhin bestehen.
Offiziell haben die USA die Besetzung der 1967 von Israel eroberten Gebiete nie anerkannt. Doch Ronald Reagans ausgesprochen israelfreundliche Administration versicherte der israelischen Regierung immer wieder, daß die USA ihre eigene Politik nicht so ganz ernst nahmen. Erst von George Bush wurde Israel regelmäßig für seine Siedlungspolitik kritisiert, wenn auch zunächst ohne Folgen. Im Herbst geschah dann das Unglaubliche. Präsident Bush vertagte die von Israel zur Eingliederung der sowjetischen Juden geforderten Kreditgarantien über 10 Milliarden Dollar bis in den Februar, um die Schamir-Regierung damit zu größerer Verhandlungsbereitschaft und vielleicht gar zu einem Siedlungsstopp zu bewegen. Wie üblich mobilisierte die proisraelische Lobby in den USA daraufhin ihre Gegenattacke. Als aber die Führer der sonst so mächtigen Lobbyorganisation AIPAC (American Israeli Political Action Committee) im Kongreß ihre Stimmen zählten, mußten sie zu ihrem Erstaunen feststellen, daß sie einen Streit mit dem Präsidenten um die 10 Milliarden nicht gewinnen konnten. Zum einen hat sich die Bereitschaft der US-Bürger zur Zahlung weiterer Auslandshilfen drastisch verringert. Zum anderen werden auch innerhalb der jüdischen Gemeinden Amerikas immer häufiger kritische Stimmen zur Siedlungs- und Verhandlungspolitik der Schamir-Regierung laut.
Nach der jüngsten Umfrage unter den Führern des „Verbandes der jüdischen Organisationen“ (CJF) in den USA unterstützt eine große Mehrheit dieser Großspender für die „jüdische Sache“ eine Übergangsregelung mit palästinensischer Selbstverwaltung, an deren Ende dann im Rahmen eines Friedensabkommens sogar ein palästinensischer Staat stehen könnte. 78 Prozent dieser führenden Persönlichkeiten aus der jüdischen Gemeinde sind für einen Siedlungsstopp, um Israel damit die geforderten Kreditgarantien zu sichern.
Als Schamir bei seinem letzten US-Besuch diese Zahlen vorgelegt bekam, tat er sie unwirsch als „unwahr“ ab. Das US-Außenministerium sorgte dagegen begeistert für ihre Verbreitung. Die in Sachen Israel nicht sonderlich kenntnisreichen jüdischen Durchschnittsbürger der USA, so der Autor dieser Studie, Professor Martin Lipset in einem Gespräch mit der taz, stünden allerdings den „Falken“ in Israel weitaus näher, als ihre mit den „Tauben“ sympathisierenden Führer. Aber auch die engagierten US-Juden an der Spitze der größten 153 jüdischen Föderationen, so der Soziologe Lipset, „verhalten sich privat und in Umfragen zwar durchaus israelkritisch, nicht aber in ihren öffentlichen Verlautbarungen“. Denn sobald es darum geht, Israel im politischen Streit beizustehen, wollen selbst der ungeliebten Schamir-Regierung nur wenige in den Rücken fallen. Im Februar, so vermutet Lipset deswegen, werde die proisraelische Lobby George Bush schon die gewünschten Kreditgarantien abtrotzen. Vielleicht mit dem Versprechen, die regelmäßige amerikanische Wirtschaftshilfe über die nächsten Jahre zu reduzieren, so wie es Israels Finanzminister in seinem Kampf gegen die notorische Subventionsabhängigkeit seiner Wirtschaft ohnehin vorgeschlagen hat.
Tendenziell aber werden sich die Interessen und Sympathien der vier Millionen Juden in Israel und der fünf Millionen US-Juden weiter auseinanderentwickeln. Schon allein deswegen, weil sich das Judentum der „Jewish Americans“ mit der Zeit immer weiter abschwächt. Gefragt, was es denn für sie bedeute, „jüdisch“ zu sein, antwortete der 'Los Angeles Times‘ unlängst eine Mehrheit der befragten US-Juden: „Die Befürwortung sozialer Gleichheit.“ „Religion“ und die „Unterstützung Israels“ folgten erst an zweiter beziehungsweise dritter Stelle dieser Selbstdefinition.
„Die Likud-Leute in Israel“, beschreibt Martin Lipset die unterschiedlichen jüdischen Welten, „sind in ihrer meist orientalischen Abstammung nicht die Art Juden, die wir hier in den USA kennen.“ Amerikas Juden wählen zu 70 Prozent die Demokratische Partei und stehen damit der Labor Partei von Shimon Perez weitaus näher, als der konservativen Regierungskoalition Schamirs. Daraus allerdings den Schluß zu ziehen, Amerikas Juden würden Premierminister Schamir zusammen mit der Bush-Administration zu einem ihren Vorstellungen entsprechenden Kompromiß treiben, wäre voreilig. Auch wenn sich in der jüdischen Gemeinde der USA langsam ein neuer Pluralismus herausbildet — zwischen Likud-Kritik und ihrer traditionellen Loyalität mit Israel hin- und hergerissen —, werden die amerikanischen Juden ihre Dollars weiterhin nach Israel schicken. Auch wenn das Land von Schamir regiert wird. Und ganz gleich, was sie den Meinungsforschern zuvor geantwortet haben, werden sie den eigenen Kongreßabgeordneten im Ernstfall wieder zum Votum für die Kreditgarantien und damit gegen Bush ermahnen.
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