: Joschka Fischer im Faustkampf gegen Siemens
Streng an Recht und Gesetz orientiert, arbeitet der hessische Umweltminister am Ausstieg aus der Plutoniumwirtschaft/ Als nächsten Schritt will er die 5. Teilerrichtungsgenehmigung für den MOX-Verarbeitungsbetrieb aussetzen — ein entscheidender Schlag gegen die Plutoniumwirtschaft ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Wiesbaden (taz) — Wie ein ausgepowerter Profiboxer, der weiß, daß er die ersten fünf Runden des Schwergewichtsfights klar nach Punkten gewonnen hat, hing der hessische Umwelt- und Energieminister Joschka Fischer am vergangenen Donnerstag in den Seilen: „Halleluja! Ich wollte, es wär schon Weihnachten.“ Der Faustkampf des grünen „Ministerleins“ (Kanther/CDU) gegen die Weltfirma Siemens und deren Plutoniumschmiede im südosthessischen Hanau ist auf mindestens zwölf Runden angesetzt. Und Fischer, den man — so war aus dem Bundesumweltministerium zu hören — „langsam ernst nehmen“ müsse, nimmt die Fäuste hoch. Deckung ist angesagt, denn Runde Nr. 6 wird die härteste werden.
Fischer hat den Brennelementewerkern angekündigt, den von seinem Vorgänger Karl-Heinz Weimar (CDU) genehmigten Sofortvollzug für die 5. Teilerrichtung für den Neubau der Mischoxid-(MOX)-Verarbeitung auszusetzen. Und weil Fischer bereits im Sommer die Stillegung der laufenden MOX-Produktion in der von der Siemens übernommenen Alkem-Brennelementefabrik angeordnet hatte, droht jetzt dem gesamten, mühsam zusammengebastelten „Kernbrennstoffkreislauf“ der Kollaps. Denn nur im Siemens- Brennelementewerk Hanau kann das beim „Abbrand“ von Uran-Brennelementen in den AKWs der Republik entstehende hochtoxische Plutonium — in Kombination mit Uranpulver — wieder zu MOX-Brennelementen verarbeitet werden — und somit „wiederverwertbar“ statt endlagerungsbedürftig werden. Durch die Stillegung der MOX-Verarbeitung wäre der Kreislauf der Plutoniumindustrie unterbrochen und die Plutoniumwirtschaft somit entscheidend geschlagen. Denn der zur Zeit nach einem Unfall ohnehin verseuchte Plutoniumbunker auf dem Betriebsgelände der Siemens-Brennelementefabrik ist nur begrenzt aufnahmefähig. Und die Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield und LaHague waren nur nach einer vertraglich vereinbarten und durch die Bundesregierung garantierten Plutonium- Rücknahmeverpflichtung zur Aufarbeitung bundesdeutscher Brennelemente bereit.
Falls die MOX-Fertigung in Hanau tatsächlich obsolet werden sollte, dann „müßten die sich was einfallen lassen“, war aus dem Darmstädter Öko-Institut zu hören. Ein Endlager für abgebrannte Brennelemente gibt es nicht — „und Zwischenlagerkapazitäten sind auch nur schwierig freizuschaufeln“. Bayerns Umweltminister Gauweiler (CSU) hat aufgrund der „technischen und administrativen Schwierigkeiten in Hanau“ das Genehmigungsverfahren für den Einsatz von MOX-Brennelementen in den AKWs Gundremmingen „vorübergehend ausgesetzt“.
Schritt für Schritt gegen den Filz
„Wir sind die Plutonium-Vernichter.“ Das hatte Siemens-Vorstandsmitglied Wolfgang Keller noch im August nach der ersten Stillegungsverfügung (Runde 1) dem hessischen Umweltminister ins Stammbuch geschrieben. Doch der schickte — unbeeindruckt von Siemens öffentlich vorgetragenem Krisenszenario — gleich die zweite Stillegungsverfügung hinterher (Runde 2). Als Fischer dann noch den von Siemens angestrengten Verwaltungsgerichtsprozeß um die Bestellung der Wissenschaftler des Öko-Instituts zu landeshoheitlichen Gutachtern gewann (Runde 3), schaltete sich Bundesumweltminister Klaus Töpfer ein. Nachdem Töpfer noch im Juni dem hessischen Minister die Stillegung der MOX-Verarbeitung bis zur Klärung der Umstände, die zu dem Plutonium-Unfall führten, bei dem drei Menschen radioaktiv verseucht wurden, selbst „empfohlen“ hatte, bestand er — nach der Konsultation seiner sogenannten Reaktorsicherheitskommission — plötzlich auf der Wiederinbetriebnahme der Anlagen. Töpfer drohte schon vor Monatsfrist mit aufsichtsrechtlichen Maßnahmen. Doch bis heute ist es bei dieser Drohung geblieben. Etwa zeitgleich hatte Fischer nämlich die Schwachstellenanalyse des Öko-Instituts vorgelegt — und so Runde 4 gewonnen. Die Gutachter hatten nach mehrwöchiger „Durchforstung“ der MOX- Verarbeitung diverse Sicherheitsdefizite aufgelistet und Vorschläge zu deren Behebung unterbreitet. Falls Töpfer dennoch auf der Aufhebung der Stillegungsverfügungen bestehe, so Fischer selbstbewußt, müsse er für alles, was sich im Nachgang zu dieser Entscheidung dort an Störfällen ereigne, selbst die Verantwortung übernehmen. Doch das wollte Töpfer offenbar nicht. Schließlich gab es auch seit der Übernahme der Alkem durch Siemens bei der MOX- Verarbeitung eine Reihe von Un- und Störfällen mit teilweise tragischen Folgen für Arbeitnehmer.
Daß Joschka Fischer auch die 5.Runde im Boxkampf mit Siemens für sich entscheiden konnte, hat er seinem Ministerpräsidenten im besonderen und dem Koalitionspartner im allgemeinen zu verdanken. Von Betriebsräten, Firmenleitung und regionalen Gewerkschaftsvertretern ermuntert, hatten sich vor Monatsfrist einige hundert Brennelementewerker vor Fischers Ministerium in Wiesbaden versammelt und die umgehende Aufhebung der Stillegungsverfügung gefordert: „Fischer raus!“ Zeitgleich drohte die Siemens-Firmenleitung mit der Einführung von Kurzarbeit, mit Entlassungen und mit Regreßforderungen an das Land. Doch der von außen an die sozialökologische Koalition geheftete vermeintliche Sprengsatz verpuffte wirkungslos. Sowohl Ministerpräsident Hans Eichel als auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Lothar Klemm stärkten Fischer den Rücken, weil der Grüne nichts anderes getan habe, als auf der Einhaltung von „Recht und Gesetz“ auch in Hanau zu bestehen. Klemm gab eine Presseerklärung ab, die an Deutlichkeit keine Wünsche mehr offen ließ: „SPD stimmt mit Fischer im Umgang mit Stillegungsverfügungen überein.“
Daß die sechste Runde in einem Profifight die schwerste ist, wußte schon Max Schmeling. Fischer nahm nach seiner Ankündigung, den Sofortvollzug für die Weimarsche Teilerrichtungsgenehmigung für den Neubau des Brennelementewerks aufheben zu wollen, erst einmal die Fäuste hoch: Den Teufel werde er tun und Interna aus seinem Ministerium an die Presse weitergeben.
Der Aktenskandal: Genehmigungsakten bei Siemens
Der sogenannte Aktenskandal hat dem Grünen den neuen Frontalangriff im Kampf um Recht und Gesetz ermöglicht. Weil Ende 1990, zu Weimars Endzeiten, meterweise Genehmigungsakten der mit Sofortvollzug ausgestatteten 5. Teilerrichtungsgenehmigung aus dem Ministerium zur „Zwischenlagerung“ ausgerechnet zur Firma Siemens nach Hanau verbracht wurden, kann Fischer heute diese Genehmigung in Frage stellen. Aufgrund der Vorkommnisse im Zusammenhang mit der Auslagerung der Genehmigungsakten bestehe zur Zeit nämlich keine Möglichkeit, die Einhaltung der Genehmigungsbestimmungen beim Vollzug der 5. Teilerrichtungsgenehmigung zu prüfen. In mindestens zehn Fällen seien zwischen den bei Siemens inzwischen beschlagnahmten und ins Ministerium verbrachten Akten und den Akten, die dem TÜV Bayern seinerzeit in Kopie von Weimar übergeben wurden, Differenzen festgestellt worden. Nachdem ein Sprecher der Firma Siemens zunächst behauptet hatte, daß man sich in Hanau die Akten noch nicht einmal angeschaut habe, sprcht man bei den Brennelementewerkern heute von „Angleichungen und Korrekturen von geringer Bedeutung“. Der Verdacht auf Aktenmanipulation durch Siemens drängte sich da nicht nur Joschka Fischer auf. Auch für SPD-Fraktionschef Klemm liegt der Schluß nahe, „daß sich die Firma Siemens einen Atomminister gehalten hat, der nichts zu sagen, sondern nur zu unterschreiben hatte“.
Ex-Umweltminister Weimar und sein Ex-Staatssekretär Popp haben sofort nach der Aufdeckung des Aktenskandals durch Fischer am 7. November erklärt, über die dubiose Aktenauslagerung nicht informiert gewesen zu sein. Um so mehr überraschte dann eine Anfrage von Bundesumweltminister Klaus Töpfer an Joschka Fischer einen Tag vor dem Gang des Grünen an die Presse. Töpfer bat Fischer in einem vertraulichen Schreiben um „Aufklärung“ darüber, wie es zu der Aktenauslagerung kommen konnte. Hat Töpfer etwa von den Vorgängen in der Atomabteilung des hessischen Umweltministeriums unter seinem Parteifreund Weimar Kenntnis gehabt?
Auf Nachfrage erklärte Töpfers Sprecher Goehlke, daß es schon Ende Oktober „Hinweise“ gegeben habe, daß man „im Hause Fischer Hinweisen auf eine Aktenauslagerung“ nachgegangen sei. Wer diese angeblichen „Hinweise“ an die Bundesaufsichtsbehörde weitergegeben haben soll, wußte Goelke nicht zu sagen: „Ich habe keine Ahnung, über welchen Kanal das gelaufen ist.“ Allerdings könne er versichern, daß sein Minister Ende 1990, als unter Weimar die Akten verschoben wurden, von den Vorgängen in Wiesbaden „nichts gewußt“ habe.
Was Weimar noch vor Monatsfrist als „Dummheit“ bezeichnete, die er bei Kenntnis „sofort unterbunden“ hätte, hat sich mittlerweile zum delikatesten Atomskandal der letzten Jahre entwickelt. Die von Fischer nach seinem Amtsantritt im Mai dieses Jahres übernommenen Mitarbeiter der Atombehörde seines Hauses entwickelten offenbar ein allzu inniges Verhältnis zu denen, die sie eigentlich zu beaufsichtigen gehabt hätten. Inzwischen hat Fischer den Abteilungsleiter Reaktoraufsicht, Hagen, ausgewechselt und in das Abfallressort verschoben. Daß zur Zeit hausinterne Ermittlungen gegen mehrere Beamte dieser Abteilung laufen, ist allerdings Beleg dafür, daß die schwarzen Schafe auch noch auf der Wiese des grünen Ministers zu weiden versuchten. Nach den von SPD und Grünen gewonnenen Landtagswahlen soll ein Sachbearbeiter, der über die ausgelagerten Akten einen Vermerk angefertigt hatte, mit der Ankündigung von Disziplinarmaßnahmen unter Druck gesetzt worden sein. Von Joschka Fischer gab es keine Bestätigung dafür, daß es sich bei dem Mann, der den Skandal behördenintern vertuschen wollte, um Ex-Abteilungsleiter Hagen selbst gehandelt haben soll: „No comment!“
Entlassungen in Hessens Umweltministerium
Daß der grüne Minister den Aktenskandal zum Anlaß nimmt, sowohl die sechste Kampfrunde gegen Siemens einzuläuten als auch seine wichtigste Abteilung personell umzubauen, wird von Sozialdemokraten hinter vorgehaltener Hand allerdings als „genialer Schachzug“ gewertet — „und alles nach Recht und Gesetz“.
Der Preis, den der eitle Minister für diese Politik der „Nadelstiche“ (Siemens) und für die „Geheimdiplomatie“ im eigenen Hause zu zahlen hat, ist hoch. Es mangelt an Beifall, der offenbar gerade bei den Grünen nur dann reichlich gespendet wird, wenn die Aktionen spektakulär sind. Und deshalb sitzt der grüne Fischer zerknittert und „total gestreßt“ im 7. Stock des Umweltministeriums im schweren Ledersessel seines Amtszimmers, mit Leichenbittermiene und Heißgetränk auf dem Stövchen. Er ächzt und stöhnt beim Aufstehen. Doch dann lächelt er wieder selbstzufrieden in sich hinein: Ach, was bin ich doch für ein guter Schauspieler. „Halleluja!“ Das Christkind kommt wohl schon am 16. Dezember nach Wiesbaden. Bis dahin hat Fischer der Weltfirma Siemens im Rahmen der beabsichtigten Rücknahme des Sofortvollzugs für die 5.Teilgenehmigung eine „Anhörungsfrist“ eingeräumt. Danach wird in Wiesbaden der Baustopp für die neue Plutoniumfirma von Siemens auf dem Gabentisch liegen. Und in Bonn wird ein christdemokratischer „Atompapst“ (BBU) den Ex- Häuserkämpfer aus Frankfurt noch ein Stück ernster nehmen müssen.
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