Der Untergang eines Theaterstücks

■ Lothar Trolles »Weltuntergang Berlin 2« in der Kulturfabrik

Betritt man den maroden Theatersaal, der dem Theater »Medea 3 Section« als Spielort dient, so nimmt man auf der schwarzen Bühne neben aufgestapelten Bierdosen auch eine Frau wahr. Sie steht ultraviolett beleuchtet und regungslos vor dem Tisch. Dann und wann geht ein Mann mit einem vollen Maßkrug von links nach rechts, um mit dem leeren Krug zurückzukehren. Der Mann stellt sich als Gastwirt heraus und plädiert in einem Monolog für die Vorzüge des Gerstensaftes und für sein Recht, diesen selbst zu trinken. Die bisher stille Dame begleitet die Rede ihres Mannes mit Rascheln von Cellophanpapier.

Erinnerung an Robert Wilson

Das erinnert an Robert Wilson, hat aber weder die Konsequenz noch die Ästhetik seiner Arbeit. Ein schmieriger Conferencier vertritt den Chor und gibt Regieanweisungen zum besten. Wir schreiben das Jahr 1933, und im Hinterzimmer der Gastwirtschaft foltern SA-Mitglieder einen Deliquenten durch Biereinflößung. Der Wirt trinkt sich zu Tode, seine Frau tut es ebenfalls, und auch die SA folgt den beiden besoffen in den Himmel: eine Aufklärungsaktion der Anonymen Alkoholiker?

Geheul und Sirene im zweiten Akt

In der zweiten Szene (von insgesamt sechs) liegt ein Kind (in Gestalt einer ausgewachsenen Frau) auf einem übergroßen Kissen. Es schreit. Die Nuancierungen dieses Geschreis werden von drei Punktrichtern bewertet. Das Kind, des Schreiens müde, fällt in einen Monolog, in dem es über das Kindsein und die Umwelt philosophiert. Als das viel zu große Kleine sich dann auch noch im Singen versucht, glaubt man den Tiefpunkt des Geschehens erreicht zu haben. Aber weit gefehlt: die Punktrichter entblöden sich nicht, das Geheul einer Alarmsirene anzustimmen, womit die Szene dann auch endlich endet.

Fehlende Grippeträger im Zuschauerraum

Für den folgenden Umbau wurden die Schauspieler gezwungen, cholerisch zu husten, was immerhin die ausnahmsweise fehlenden Grippeträger im Zuschauerraum ersetzt. Auf der Bühne stehen jetzt fünf Blechsessel, worin die fünf Darsteller Platz nehmen dürfen. Sie erzählen gleichzeitig, nacheinander oder zeitversetzt die Beobachtungen einer sensationsgierigen Clique, die während eines Luftangriffes durch Berlin streunt. Die versuchten Sprachexperimente kennt man von Tardieu bis Zschokke, hat sie dort aber auch schon gekonnter erlebt. Zum Schluß türmen die »Fünf Freunde« die Blechsessel aufeinander, und die Pause (die der Rezensent zur Flucht benutzte) ist endlich da.

In der Inszenierung von Hans Werner Kroesinger zeigte sich, daß auch Regieassistenten bei Marktführern (Heiner Müller, Robert Wilson) nicht alleine ausreichen, um Regie zu führen. Talent gehört eben auch dazu. Was hier auf die spärliche und nicht gerade ideenreiche Bühne von Verena Neumann gebracht wurde, läßt sich am besten mit zäher Langeweilerei bezeichnen. Die Punktwertung im einzelnen: Besonderheiten= null, Ideen= null, überzeugende Leistungen= null.

Weder Qualität noch Aussage

Das Stück von Lothar Trolle, einem nicht gerade häufig gespielten Autor der ehemaligen DDR, läßt keine eindeutigen Absichten erkennen. Denn verglichen mit Heiner Müller (den Trolle als Tragiker bezeichnet, während er sich selbst einen Komiker nennt) scheint es bei diesem Autor an Qualität und Aussagekraft zu fehlen. Hier entschuldigt das dauernd mahnende Zeigefingerchen (im Hinblick auf 1933-45) die Belanglosigkeit nicht. Und Sprachexperimente gibt es auch nicht erst seit der Maueröffnung.

Die Botschaft Lothar Trolles, die Welt aus den Augen eines Kindes oder Träumers zu betrachten, ist wunderschön und beachtenswert. Doch dieses Stück oder zumindest seine Umsetzung durch das »Medea 3 Section«-Theater trägt nicht dazu bei. York Reich

Weitere Aufführungen 11., 12., 13., 14. und 15. Dezember, jeweils um 20 Uhr in der Kulturfabrik 35, Lehrter Straße, Moabit