Glasnost für Kubas Aids-Kranke

Havanna (ips/taz) — Drakonische Maßnahmen wie Zwangsinternierung und Isolation sind nicht länger die einzige Antwort der kubanischen Gesundheitsbehörden im Umgang mit Opfern der Immunschwächekrankheit Aids. In einem Sanatorium bei Havanna wird HIV-Positiven gestattet, drei Tage pro Woche in Freiheit zu verbringen — allerdings „auf Bewährung“.

„Vielleicht sagt dir einer: ,Ich bin sterbenskrank.‘ Andere denken, und so ist es auch bei mir: Ich bin infiziert, aber ich fühle mich gut und im Vollbesitz meiner Kräfte, um weiterzuarbeiten“, sagt der Arzt Juan Carlos de la Concepcion über seinen Umgang mit der Immunschwächekrankheit Aids. Er ist einer der nach offiziellen Angaben 692 Menschen in Kuba, die das HIV-Virus in sich tragen. De la Concepcion denkt nicht daran, seinen Beruf an den Nagel zu hängen. Zusammen mit zwei weiteren infizierten Kollegen und der Psychologin Liana Rodriguez leitet der Mediziner seit März die Abteilung zur Aids-Vorbeugung im Sanatorium Santiago de las Vegas bei Havanna.

Hier wird ein neues Modell im Umgang mit Aids-Opfern praktiziert. 200 der 275 im Sanatorium internierten HIV-Positiven oder bereits an Aids Erkrankten verbringen drei Tage pro Woche „in Freiheit“ außerhalb des Krankenhauses, allerdings unter „Aufsicht“ eines Familienangehörigen.

Das Experiment im Sanatorium Santiago de las Vegas ist eine Folge der Lockerung im Umgang mit Aids- Opfern, die die kubanischen Behörden Anfang des Jahres angekündigt hatten. Dessenungeachtet ist weiterhin eine Verordnung in Kraft, die die bis vor kurzem ausschließlich praktizierte Zwangsinternierung und Isolierung von HIV-Positiven ermöglicht. Diese drakonischen Maßnahmen gehörten zu einer Aids-Politik, die der Regierung in Havanna einerseits scharfe internationale Kritik, andererseits aber auch ein Lob der Weltgesundheitsorganisation WHO eingetragen hatte.

Neben der Zwangsquarantäne in eigenen Kliniken sieht das Aids-Programm in Kuba auch eine Überprüfung der sexuellen Kontakte von Infizierten und Kranken, Zwangskontrollen schwangerer Frauen und von Personen mit Geschlechtskrankheiten, Kontrollen der Bluttransfusionen sowie generell verpflichtende Aids-Tests vor. Seit 1986 wurde mit über zehn Millionen derartiger Tests fast die gesamte Bevölkerung der Karibikinsel auf das HIV-Virus untersucht.

Von den derzeit registrierten HIV-Positiven sind 496 Männer und 196 Frauen. Einige Dutzend weisen bereits voll entwickelte Symptome der Krankheit auf. Wie selbst in reichen Industrieländern ist Aids wegen der hohen Behandlungskosten auch hier ein finanzielles Problem. Allein die in Kuba praktizierte medikamentöse Behandlung, darunter virushemmende Interferone, ist äußerst kostspielig und geht in die Tausende US-Dollar pro Patient und Jahr. Trotzdem und ungeachtet der schweren Wirtschaftskrise garantiert der Staat Aids-Opfern eine kostenlose Betreuung, die nötige besondere Ernährung und den bisher Zwangsinternierten auch die Fortzahlung ihrer früheren Gehälter.