Eine fröhliche Hochzeitsfeier mit dem Tod

■ In Irland erhellen sich mit jedem Whiskey und jeder Prise Schnupftabak die Leichenbittermienen

Bás in Firinn! (Tod in Irland!) — so prosteten sich im vorigen Jahrhundert die irischen Emigranten zu, wenn sie den „schwimmenden Särgen“ glücklich entronnen waren und sich in Amerika eine neue Existenz aufgebaut hatten. Indes entsprang der Trinkspruch keinem morbiden Todesverlangen, sondern dem sehnlichen Wunsch, statt in der seelenlosen Fremde in heimatlicher Erde begraben zu werden. Bei den damaligen Transportverhältnissen waren die in der Ferne weilenden Angehörigen für die Daheimgebliebenen so gut wie tot. So wurde, bevor der Auswanderer in die Neue Welt aufbrach, vielerorts eine American Wake abgehalten — ein Brauch, der seinen Namen der in ländlichen Gegenden auch heute noch gepflegten Tradition der Totenwache verdankt.

Entschläft ein Familienmitglied, so wird der von den engsten Verwandten gewaschene Leichnam aufgebahrt, und noch am selben Abend versammeln sich Freunde und Nachbarn — früher herbeigerufen vom jammernden Wehgeschrei der Klageweiber — im Haus des Verstorbenen zum gemeinsamen Gebet. Doch der rituelle Leichentrunk verwandelt den Trauerfall alsbald in eine Lustbarkeit, mit jedem Whiskey und mit jeder Priese Schnupftabak erhellen sich die Leichenbittermienen, und es kommt zu Amüsements aller Art: Tanz, Musik, Gesang, Schnurren — eine fröhliche Hochzeitsfeier mit dem Tod, die den Hinterbliebenen die Trauerarbeit erleichtert. Paradoxerweise finden Beerdigungen mehr Zulauf als Tauf- oder Hochzeitsfeste, und noch heute gibt es den nekrophilen Typus des sochraideach, der verschiedenen Leichenbegängnissen gewohnheitsmäßig beiwohnt. Der Tod des anderen bedeutet das eigene (Über-)Leben.

Die irischsprachigen Rundfunksender vermelden regelmäßig die Rückführung von Leichen verstorbener Emigranten; ein Todesfall ist Anlaß zu einer der seltenen Zusammenkünfte der in alle Winde verstreuten Großfamilie und bewirkt ein Zusammenrücken der ländlichen Gemeinschaft. Dem Stimmenfang zuliebe lassen sich nicht selten auch Politiker unter den Trauergästen blicken. Je besser ein Begräbnis besucht ist, desto mehr Ehre widerfährt dem Hingeschiedenen: „You gave him a great send off“ — das ist ein vielgehörtes Kompliment. Wenngleich der säkulare Trend zur Verbannung des Todes aus der Gesellschaft, die moderne Tendenz zur Kommerzialisierung und Professionalisierung des Bestattungszeremoniells allmählich auch in Irland zunimmt — der Leichnam wird so schnell wie möglich in die Leichenhalle geschafft, die Trauergemeinde im Hotel abserviert —, findet man heute noch Leichenprozessionen alten Stils. Hunderte von Menschen geben dem Toten das letzte Geleit, und die Passanten bekreuzigen sich, wenn der geschulterte Sarg an ihnen vorübergetragen wird. Der Tod als Band zwischen den Lebenden.

Zum Tod haben die Iren ein besonderes Verhältnis, das sowohl ernster als auch unbefangener ist, und dies nicht erst seit die von der Kartoffelfäule ausgelöste Hungersnot Mitte des vergangenen Jahrhunderts mehr als eine Million Menschen hinwegraffte und weitere zwei Millionen in die Emigration zwang — ein historischer Einschnitt von ungeheuren Dimensionen, ein Trauma, das den Tod im kollektiven Unbewußten der Iren zum ständigen Begleiter machte. Die Wurzeln der sakralen Trauerkultur der Iren reichen vielmehr tiefer. Sie gehen zurück auf prähistorische Formen keltischer und vorkeltischer Totenkulte, über die sich wie ein Bahrtuch christlich-katholische Gebräuche gelegt haben. Einige der heidnischen Praktiken sind im irischen Wortschatz treu aufbewahrt. So ist ein burach bháis laut Wörterbuch „ein fortlaufender Streifen Haut, der unter Gesängen von der Schulter bis zur Fußsohle den ganzen Leib hinab aus einem Leichnam herausgetrennt, in ein Stück Seide von der Farbe des Regenbogens eingewickelt und als Fußfessel verwendet wird, mit der die Beine einer Person zusammengebunden werden, um mittels Zauberkraft gewisse Wirkungen hervorzurufen.“ Der Tod als Übergang des Mana vom Toten auf die Lebendigen.

In der Tat war es erst der jansenistisch geprägte Katholizismus des 19.Jahrhunderts, der viele heidnische Rituale, die sich bis dahin gehalten hatten, untersagte. Geblieben aber ist die zentrale Stellung des Todes im Leben der Iren. Hans-Christian Oeser

Der Autor lebt seit zehn Jahren als Übersetzer in Dublin.