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Das Video ist das Böse

Zu Werner Glogauers Videohaß  ■ Von Manfred Riepe

Leatherface“ ist ein kannibalischer Texaner. Sein Gesicht verbirgt er hinter einer Maske aus menschlicher Haut. Die ratternde Kettensäge im Anschlag, rennt er hinter einer wild schreienden Frau her, die nichts Gutes ahnt. Irgendwann ist der Gang zu Ende. In die Enge getrieben, hebt die auf martialische Weise Verfolgte abwehrend die Hände: „All right. Let's talk about it“, sagt sie.

Irritiert hält der Kettensäger-Killer inne. Nicht jedoch der Staatsanwalt, der am 18.August nun auch den zweiten Teil von Tobe Hoopers Klassiker The Texas Chainsaw Massacre im Münchner Werkstattkino mit Hilfe des Paragraphen 131 („Gewaltverherrlichung und Gewaltverharmlosung“) verbot. Den Humor des Films sah der Staatsanwalt nicht. Acht Filme wurden allein innerhalb eines Jahres im Münchner Werkstattkino beschlagnahmt und landeten im bundesdeutschen Giftschrank für „jugendgefährdende Schriften“.

Eine Zensur, heißt es im Grundgesetz, findet nicht statt. Ein Bilderverbot gibt es dennoch. Es richtet sich vorwiegend gegen Hardcorefilme, die „keine überwiegend schützenswerten künstlerischen Darstellungen“ beinhalten. Da die inkriminierten Werke von Otto-Normal-Cineasten in der Regel geringgeschätzt werden, existiert keine kritische Öffentlichkeit bezüglich der immer selbstverständlicher werdenden juristischen Ausschreitungen. Statt dessen greift skurrile Medienpädagogik mit ideologisch fragwürdigen Pamphleten.

Im Kampf gegen Gewaltdarstellungen in den Medien hat sich der Augsburger Pädagoge Werner Glogauer, der sein Fachwissen durch Werke wie Grundwortschatz Realschule unter Beweis stellte, die Position einer ideologischen Speerspitze wider die „entartete Kunst“ erkämpft. In seinen Büchern Videofilm-Konsum der Kinder und Jugendlichen (Klinkhart 1989) und Kriminalisierung von Kindern und Jugendlichen durch Medien (Nomos 1991) vertritt Glogauer die These, daß „das Böse“ aus dem Fernseher kommt.

Im zweiten Buch erweitert Glogauer sein Untersuchungsfeld noch auf Hörspielkassetten, Videospiele, Billighefte und Heavy-Metal-Musik. Jugendschutz ist der heiligende Zweck, radikales Verbot das erklärte und einzige Mittel. Eine problematische Renaissance der Moral der fünfziger Jahre, der 68er-Aufbruch, Wiener Aktionismus, Punk-Bewegung und subversives Potential der Pop-Kultur aus dem Geschichtsbuch streicht.

Nicht nur des Pädagogen geliebtestes Haßobjekt, der „Videofilm“, steht auf der schwarzen Liste. Auch TV-Serien wie Knight Rider, Batman, Airwolf, Ghostbusters, der mit dem Prädidat „wertvoll“ gekürte Rambo, ferner der Aktionskünstler Hermann Nitsch und, wer hätte das gedacht, Alf will der Medienexorzist radikal verboten wissen. „Diese Medien“, heißt es in seinem Buch pauschalisierend, „aktivieren zum Umgang mit Waffen, zum Einsatz von Waffen gegen andere, zu kriegerischen Gefechten und zur massenhaften Vernichtung von Feinden. Die Anleitungen zum Umgang mit diesen Medien putschen vielfach zu negativen Emotionen, zu Haß, Verachtung und zur Vernichtungslust an. Der Krieg wird verherrlicht und gleichzeitig verharmlost, weil Schrecken, Verwundung, leidvolles Sterben nicht konkret und damit auch nicht in abschreckender Weise (sic!) erlebt werden.“

Gemeint ist nicht, wie man vorschnell meinen könnte, der tagein, tagaus über die Mattscheibe flimmernde Hollywoodstern, in dem sich das Sterben „serieller Unmenschen“ (Indianer) diskret im Hintergrund und im Dienst von Law und Order vollzieht. Gemeint sind vor allem diejenigen, erst Anfang der Achtziger hierzulande auf Kassette veröffentlichten Filme, in denen repressive bürgerliche Doppelmoral, die das (Pseudo-)Pathologische isoliert und als „krankhaft“ abspalten will, mit handwerklich oft ungeschickten Mitteln (Ketchup, Latex, Schokoladensoße) entlarvt wird.

Abseits des Mainstreams entstandene Filme von David Cronenberg, Tobe Hooper, Sam Raimi, Wiliam Lustig oder Wes Craven werden bei Glogauer mit Billigschund in einen Topf geworfen: Zum dämonischen Mythos vom „Videofilm“, der unsere Kinder ad hoc zu blutrünstigen Lustmördern verblendet. Von Regisseuren, Genren, ästhetischen, soziologischen Betrachtungen oder sonstigen Umgangsweisen, die sich besagten Filmen als gesellschaftliche oder psychologische Phänomene nähern, ist nirgends die Rede. Der Film ist bei Glogauer ein anonymer Übeltäter ohne Herkunft und Geschichte, der vom Begriff Video umstandslos kassiert wird.

Angsichts dieser moralinsauren Mobilmachung spielt die FSK eine unglückliche Doppelrolle. Als Vertreter der Filmwirtschaft muß sie die Vermarktung auch umstrittener Filme sichern. Einer juristischen Verfügung, die das wirtschaftliche Aus eines jeden Films bedeutet, beugt sie daher vor, indem problematische Streifen (nach den Pressevorführungen) so lange an entsprechenden Stellen gekürzt werden, bis eine Freigabe ab 16 Jahren möglich ist. In diesem Fall ist eine juristische Verfügung nicht mehr zu erwirken.

Offiziell ist die FSK jedoch gezwungen, moralisch zu argumentieren. Gewaltfilme fördern sittliche Verrohung durch Nachahmung: Glogauers Terrain. Um die nicht nur in den eigenen Reihen der Sozialpädagogen umstrittene Nachahmungs- These zu erhärten, zieht Glogauer in seinem letzten Buch eine Reihe von „Fällen“ heran, in denen Videohorror unmittelbar mit strafbaren Handlungen einhergeht: „Tötungsversuch nach Ninja-Manier“, „Zombie- Mord“, „Sexualdelikte durch Sex- und Pornofilme“ etc.

Der wissenschaftliche Unterbau dieser Gleichsetzung von Videoschauen und Handeln wird indessen nur dürftig beleuchtet. In der Diskussion über Gewaltdarstellungen in Medien dominieren vor allem zwei Thesen: Die „Habitualisierungsthese“ besagt, daß regelmäßiges Betrachten von Gewaltdarstellungen zur Gleichgültigkeit führt und daher Gewalt als probates Mittel zur Konfliktlösung erscheinen läßt. Deren Radikalisierung ist die „S(t)imulationsthese“, die annimmt, daß Gewaltdarstellungen enthemmend auf das menschliche Verhalten wirken und zur direkten Nachahmung reizen. Gegenteiliges nehmen die „Katharsisthese“ und die „Inhibitionsthese“ an, doch sie sind unpopulär und deutlich unterrepräsentiert.

Mit seinen „Zombie-Mord“-Beispielen betreibt Glogauer indessen eine Evidenzschinderei, die jedem Hinterfragen ausweicht. Ein vorgeschützter wissenschaftlicher Duktus täuscht dem Leser akademischen Background vor. Daß sich in den vergangenen anderthalb Jahren nicht weniger als fünf Fernseh-Talk- Shows mit dem umstrittenen Verbot von „Horrorvideos“ beschäftigten, zeigt, daß das Thema mangels Lösungen nach wie vor virulent ist. Eine elaborierte Aufarbeitung dessen, was Gewalt in Medien überhaupt bedeutet, fehlt und wird durch popularistische Trivialisierungen gehemmt. Sogar 'Der Spiegel‘ rezipierte Glogauers Ansatz in diesem Jahr ziemlich blauäugig ('Der Spiegel‘, Nr. 17, 1991).

Zentrale Stoßrichtung von Glogauer ist das sogenannte „modellhafte Lernen“: „Da die Kampftechniken hundertfach auf motorischem Wege, unter Begleitung von Kampfgeräuschen und hektischen Actionen eingeübt werden, sind alle Sinne intensiv beteiligt. Auf diese Weise werden die motorischen Abläufe stark verinnerlicht, gefestigt und automatisiert, so daß sie in bestimmten Situationen (z.B. wenn es Streit gibt) eingesetzt werden und dann auch automatisch ablaufen, d.h. ein aggressives Verhaltensrepertoire ist jederzeit abrufbar.“

„Wenn das Lernen durch Filme so einfach funktionierte, wie oft gesagt wird“, monierten Pädagogen bereits Anfang der achtziger Jahre, dann „müßte längst jede Schulklasse in einem Kinoraum sitzen. Bei der Menge von Wildwest- und Fury-Filmen, die wir Älteren gesehen haben, müßten wir längst ein Volk perfekter Reiter sein, Kutschen lenken können und mit Revolvern umgehen wie Artisten. (...) Die Bezeichnung ,Nachahmung‘ ist auch dann falsch, wenn der erste Augenschein dafür sprechen sollte“ (Christoph B. Melchers und Werner Seifert in 'Medium‘).

Wäre die Nachahmungsthese wissenschaftlich nachweisbar, so wäre jeder Werbefilm, der dem Zuschauer ein Konsunmverhalten antrainiert, juristisch gesehen eine Unterminierung der Mündigkeit des Bürgers. Warum unterdessen gerade der Gewaltdarstellung bei der Illustration des modellhaften Lernens eine so exponierte Position zukommen soll, ist eine Frage, um deren Verweigerung Glogauers Werk aufgebaut ist.

Dennoch ist die Lektüre von Glogauer ratsam. Mit einer volkstümlich-liberalen Pfadfinder-Botschaft, die unter anderem einklagt, Kindern und Jugendlichen würde anstelle von Gewaltkonsum „sinnvolle Freizeitbeschäftigung“ fehlen, führt der Scherenfetischist demjenigen, der seine Bücher tatsächlich zu Ende liest, eine sehr konkrete politische Botschaft vor Augen. Das „Böse“, „Aufstachelnde“ und „Verderbliche“ wird an einem einzigen Ort isoliert: im Medium, hauptsächlich im „Videofilm“. Glogauer zufolge produzieren Medien die Gewalt aus sich heraus.

Selbst wenn man tatsächlich davon ausginge, daß zwischen Vorbild („Videofilm“) und dessen Nachahmung ein ursächlicher Zusammenhang besteht, bricht diese Kette nicht, wie Glogauer suggeriert, beim Medium ab. Besitzt das Modell Vorbildcharakter, so deswegen, weil es seinerseits nicht aus dem Nichts schöpft, sondern wiederum zur Nachbildung von vorgängigen Phänomenen ist. Das Medium ist keine Ursache, sondern, wie der Name schon sagt, Mittler und Spiegel. Für Glogauer ist jedoch das Medium die Botschaft; das Video ist das Böse. McLuhan würde sich wundern.

Die Klärung oder zumindest Problematisierung der Herkunft von Gewalt ist ein unverzichtbarer Argumentationsschritt für denjenigen, der generell und über Video hinaus Zusammenhänge zwischen Vorbild und Nachahmung wissenschaftlich nachweisen will. Eine Problematisierung von Inhalten sogenannter gewaltverherrlichender Filme würde die Problematisierung der gesellschaftlichen Realität unmittelbar nach sich ziehen: Schließlich schöpft noch der verabscheuungswürdigste „Exploitation“-Horrorfilm unweigerlich aus realen Vorbildern. Der Hardcore-Film ist die (lebende) Leiche im Keller der Unterhaltungsindustrie. Und sie ist nun einmal der Herzschrittmacher jeder industriellen Gesellschaft.

Die Feindbildbeschwörung des Magnetbandes fungiert daher nicht nur als Sammelbecken für eine Fülle ungelöster Fragen des Jugendschutzes. Es geht nicht einmal darum, die Welt mit der Schere zu retten. Die Vorstellung von der Inkarnation „des Bösen“ in Medien wie Video oder Heavy-Metal-Musik ist zutiefst reaktionär, da sie eine gesunde, konfliktfreie Gesellschaft impliziert, deren Kinder durch Horrorvideos krank gemacht werden.

Ganz in Glogauer-Manier argumentierte kürzlich übrigens die Landesvorstandssprecherin der Grünen von der Saar, Christa Jenal, gegen ein „gewaltverharmlosendes und -verherrlichendes“ Rockkonzert der Gruppe — nicht wie vor 25 Jahren Rolling Stones, sondern Slayer.

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