Atombomben im Angebot

■ Atomindustrieller Komplex vermarktet atomares Know-how für harte Devisen

Während in den westlichen Hauptstädten noch über die Einbeziehung der neuen Atommächte Ukraine, Belorußland und Kasachstan in die Rüstungskontrolle nachgedacht wird, hat der atomindustrielle Komplex der zerfallenden Sowjetunion längst begonnen, sein Know- how „zivil“ zu vermarkten. Jeder, der über die nötigen Devisen verfügt, wird bald bei der „International Chetek“ in Moskau eine Atomexplosion für seine privaten Zwecke ordern können. Die Zwecke, so die Firmenbosse, sollen selbstverständlich nur zivil sein.

Hinter Chetek stehen das sowjetische Atomenergieministerium und das All-Unions-Institut für experimentelle Physik — besser bekannt als Arzamas-16, die sowjetische Atombombenschmiede. Der Chetek schwebt als „ziviles“ Hauptbetätigungsfeld vor, Giftmüll durch Atomexplosionen in etwa 800 Meter Tiefe zu verbrennen. Die Firma ist aber auch für andere Ideen offen.

So schlug der Vizeminister des Atomenergieministeriums, Victor Michailov, kürzlich vor, die Zerstörung des Moskauer Atomwaffenarsenals durch gezielte Atomexplosionen in unteridischen Kavernen oder Tunneln vorzunehmen. Die in schreibtischgroßen Kisten verpackten taktischen Atomwaffen werden derzeit aus Angst vor Kontrollverlusten von rein-russischen KGB- Militäreinheiten nach Rußland zurücktransportiert. Völlig unklar bleibt aber, wie und wie lange diese handlichen Waffen bewacht werden können, wenn die „militärische Moral“ in Auflösung begriffen ist. Michailows unglaublicher Vorschlag verspricht den Militärs Erlösung. „Um 30.000 Atomwaffen zu zerstören, braucht man etwa 15 bis 30 Explosionen“, rechnete er im 'Wall Street Journal‘ vor.

Die sowjetische Bevölkerung hat verheerende Erfahrungen mit rund 120 „zivilen“ Atomtests der Atomtechniker gemacht (taz 11.5.91). Dennoch will die Chetek eine Testexplosion mit Giftmüll schon im Oktober 1992 auf dem arktischen Atomtestgelände in Novaja Semlja vornehmen.

Auch westliche Atomexperten und Umweltschützer sind stark alarmiert über die Vorhaben von Chetek. Susanne Kopte von Greenpeace warnt, daß Cheteks Aktivitäten keineswegs auf die Sowjetunion oder Rußland beschränkt bleiben müßten. Novaja Semlja könne nicht das eigentliche Testgelände für die Firma sein. „Dort kann man aufgrund der klimatischen Verhältnisse maximal zwei solcher Tests im Jahr durchführen“ — zu wenig für eine kommerzielle Nutzung. Greenpeace weiß nach ihrer Auskunft von einem Brief des Chetek— Geschäftsführers Vladimir Dimitriev an UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar. Darin schlägt der Chetek- Boss vor, eine Pazifikinsel unter internationaler Kontrolle für diese Art Wirtschaftstätigkeit zur Verfügung zu stellen.

Der US-Rüstungsexperte William Potter argumentiert seit Monaten, daß neben den Atomsprengköpfen das riesige Potential an unbeschäftigten Atomexperten ein ungeheures Risiko darstelle. „Die Versuchung der Dollars ist groß.“ In Moskau gebe es inzwischen nicht nur zivile Atombomben zu kaufen, auch für angereichertes Uran und schweres Wasser zum Atombombenbau sei Moskau derzeit der günstigste Einkaufsort. Erst am Wochenanfang hat das Atomenergieministerium einen 1.000-Megawatt-Atomreaktor an der neu eingerichteten Moskauer Börse angeboten. Beryllium und Zirconium für den Atomwaffenbau würden schon verhökert, so Potter.

Die Zahlen illustrieren Potters Sorgen: Allein im geschlossenen Atomtestgelände im kasachischen Semipalatinsk waren nach Auskunft des Atomphysikers Grigory Barenboim 10.000 Soldaten und 17.000 zivile Forscher nur mit dem Sprengen von Atombomben beschäftigt. Die Atomindustrie beschäftigte Hunderttausende von Experten. Barenboim warnte am Rande einer Tagung in der Berliner Ost-West-Wirtschaftsakademie, am Testgelände gebe es Städte, „wo die Menschen keinen anderen Beruf hatten, als Atomtestexplosionen durchzuführen.“ Über kurz oder lang so befürchten viele Experten, könnte ein Heer von Techno-Söldnern die Welt das Fürchten lehren. Hermann-Josef Tenhagen