Prädikat: Verdauungsfördernd

■ Für Sie auf dem Örtchen gelesen: Michael Augustins „Miniaturen“

Hierhin den

Buchtitel

Haben Sie schon Stoff für Ihre nächsten 38 Stuhlgänge? Lesestoff meine ich. Sie sollten den neuesten Michael Augustin in Betracht ziehen: Seine Miniaturensammlung „Mal eben Zigaretten holen“ bietet in Punkto Format (Reclam-größe, hat auf dem spitzesten Knie Platz), Geschichtenumfang (kleiner gleich kürzestdenkbarer Verdauungsakt) und Afterphilosophie alles nur Wünschbare.

Zu einer „Miniatur“ zählen ein Name, ein Problem und eine hinterfotzige Lösung. In der Regel genügt dem Autor (Jg. '53 und schon spiritus rector des legendären Radio Bremer Heimatfunks), zwei Sätze zu machen. Um so brutaler tritt die Wahrheit hervor. Z.B. Frau Filske: Da Frau Filske schon nahezu immer von ihrem Gatten unterdrückt worden war, beschloß sie, ihn zu vergiften, was sich auch als voller Erfolg erwies und ihr für einen Moment das Gefühl wunderbarster Freiheit vermittelte. Man beachte: die Tat wird in einem Nebensatz zweiter Ordnung behandelt. Ich meine, zurecht, geht es hier doch vielmehr um Glück und Emanzipation. Frau Filske scheitert: Bei der fürchterlichen Knochenarbeit, den Mann zu zerlegen, entdeckt sie, wie sehr er ihr fehlt.

Es sind dies die Schicksale, die man weitererzählt, weil sie etwas Exemplarisches haben, wofür, möchte man lieber gar nicht wissen. Haben Sie gehört, der Herr Ludwig, genau, der Alkoholiker, der konnte doch nicht schwimmen ... doch glücklicherweise befand sich kein Wasser im Schwimmbecken, so daß er mit dem Kopf aufschlug und gleich tot war.

Michael Augustin, obgleich Hanseat, schürft doch tief und gründelt in Stoffen, die antiker Tragödien würdig wären. Wie leiden wir mit Herrn Rösler, Kunstmaler, der seine Geliebte beeindrucken will, indem er sich die Ohren abschneidet. Worauf er den entscheidenden Telefonanruf überhört.

Keineswegs will ich behaupten, alle Geschichten wären gleich gut. Gott, Herr Tennigkeit, ja, Herr Oertelmann, Kapitän Jankiewitz: man liest die Geschichten aufgeregt, auf die Pointe hin. Die fehlt manchmal zugunsten poetischer Winde. Das

Wie telefonieren ohne Ohren?

Büchlein ist halt nicht besser als die Realität, und die kennt neben der Diarrhoe auch die Obstipation, die uns um den krönenden Abschluß betrügt. Anders herum: Wo uns Herr Augustin nicht mit einer Wendung zum Gutgemeinten erschreckt, scheint er vom Dada gebissen: Da erigieren Männerbeine, da werden unschuldige Kerle niedergeküßt. Was zumindest eins ist: unbedingt verdauungsfördernd!

Bus

Michael Augustin, Mal eben Zigaretten holen, Miniaturen. Mit Holzschnitten von Rolf Wienbeck. Bremen, Edition Temmen, 64 S., 12 Mark