Moppels gesammelte Ungereimtheiten

■ Am Dienstag las der wilde Peter Warwerzinek aus seinen Werken

Es gibt Lesungen, die nicht zuletzt durch ihre Kürze bestechen. Kein endloses Schwadronieren mit zwanzig Nebenanekdoten, keine nervtötende Was-hat- uns-der-Autor-damit-sagen-wollen- Diskussion im Anschluß. Die Lesung von Peter Warwerzinek am Dienstag abend im Wedding war eine solche Veranstaltung: das Buch aufgeschlagen, fünfzig Minuten lang heftige Wortsalven gespuckt, Buch zugeschlagen — fertig.

Warwerzinek hat seine Texte keineswegs nur gelesen — er sang die Sätze, brüllte sie, er lispelte, sächselte, stampfte die Worte wild umherspringend mit den Füßen in den Boden — kurzum, die Lesung entpuppte sich bald als eine getarnte Performance, vorgetragen mit großem schauspielerischen Talent.

Mit diesem gestaltete er nicht nur einatemberaubendes Wortbombardement, sondern auch eine geradezu rührend anmutende Selbstinszenierung als angry-young-man-Neuauflage frisch vom Prenzlberg. Mit einem Gestus, als hätten Talentsucher der Sektion und noch ein Gedicht ihn erst Montag vom Hochofen weggeholt, ließ er keinen Zweifel daran, daß er ein Mann des Wortes ist. Und offenbar spielt er seine Rolle gut — der 'Zeit‘-Kritiker Hubert Winkler wollte jüngst sogar die »Spucke in den Arbeitshänden« des Dichters entdeckt haben.

Peter Warwerzinek ist nicht nur Prolet, sondern irgendwie auch ein echter Underground-Poet. Als solcher hat er für das Literatur-Kritiker- Wissenschafts-Verlags- und das sonstige Establishment, wie alle anderen echten Underground-Poeten auch, maximal ein müdes Arschrunzeln über. Auch daran läßt er nicht den geringsten Zweifel. Natürlich ist es auch tabulos: »Da holt einer sein Ding raus. (Kein Kommentar!) Da wird gefickt und gefressen, gesoffen und gerülpst.

Manchmal kommt Warwerzinek jedoch mit den verschiedenen Sprachebenen ein bißchen Durcheinander. Dann gesellen sich unverhofft und schmerzhaft zu all der Literatur gewordenen Volkstümlichkeit Wörter aus einer anderen Welt. Plötzlich »wandelt« da einer in seinen Texten und macht »desgleichen« seltsame Dinge. Die Stilmischung, die dadurch zustande kommt, ist unverdaulicher als die ranzigste Bockwurst, die Warwerzinek seinen Helden Moppel Schappik verzehren läßt. Mehr noch als die Textsammling NIX läßt der Debütroman Moppel Schappicks Tätowierungen jedoch ahnen, zu was der clowneske Dichter fähig ist, wenn er auf seine Vokabularanleihen aus alkoholgetränkten Stehbierhallen und schöngeistigen Romanen des neunzehnten Jahrhunderts verzichtet. In dieser Schilderung einer Metamorphose vom Mecklenburgischen Landjungen zum Berliner, gelingt ihm eine sehr eigenwillige und starke Sprache, entzündet er wahre Feuerwerke an Bildern voller Witz und Poesie: »Einsam wie ein Krematorium« sitzt ein Junge an einer Kreuzung, sein Vater erschien ihm im Traum: »Er war eine Spülhilfe und trug einen Kübel.«

Die Figur des Vaters taucht auch in der Sammlung NIX auf. Hier versucht er den Jungen davon abzubringen, Schriftsteller werden zu wollen. Er spricht ein Verbot aus, das er mit den Worten »schreib dir das hinter die Ohren« und »du bist ein Hinter-die-Ohren-Schmierer« schließt. Vielleicht ist es dort auch heute noch ein bißchen feucht von all der Tinte. Sollte die eines Tages trocknen, könnte aus Warwerzinek ein guter Schriftsteller werden. Sonja Schock