Das Virus und der Schweizer

Zwei totale Spielverderber sorgten für eine radikale Verarmung des Grand Slam Cups in München Während Boris Becker ein mysteriöses Virus als Alibi dient, hat Jimmy Connors einfach verloren  ■ Aus München Matti Lieske

Kaum war der im letzten Jahr noch in Grund und Boden verdammte Grand Slam Cup drauf und dran, sich eine gewisse Reputation zu erobern, wurde er von zwei veritablen Katastrophen heimgesucht: von der Absage des verwüstlichen Boris Becker und dem Scheitern seines Antipoden Jimmy Connors.

War der Grand Slam Cup 1990 mit seiner Eröffnungsveranstaltung, bei der Placido Domingo sein Goldkehlchen strapazierte, eine schwülstige Hymne durch die Halle waberte und die norwegische Gruppe „a-ha“ dicke Rauchschwaden und dünne Musik absonderte, sowie der Halbfinal-Rangelei zwischen Brad Gilbert und David Wheaton noch eher dem Schmierentheater verhaftet, sollte diesmal die große Oper Einkehr halten in der Münchner Olympiahalle. Die Rolle der Diva war dabei Boris Becker zugedacht, und Jimmy Connors sollte den Heldentenor mimen. Ein heimtückisches Virus aus Antwerpen und ein aufrechter Schweizer namens Hlasek betätigten sich jedoch als Spielverderber und ließen unversehens den Vorhang fallen.

Der Seehundschnauzer des Ion Tiriac hing noch eine Spur trauriger als sonst in der transsylvanischen Gesichtslandschaft des Rumänen, als er die tragische Botschaft überbrachte, daß ein bis dato namenloses Virus, das sich Becker in Antwerpen zugezogen habe, dreisterweise „vom Magen nach oben“ gewandert sei, dort für ungebührlichen Schwindel sorge und der Tennisspieler darob nicht in der Lage sei, seine Profession in gewohnt perfekter Manier auszuüben.

Das Entsetzen hatte sich noch nicht gelegt, als Jakob Hlasek den Court betrat und mit perfider Taktik die gewohnte Dramaturgie des Jimmy Connors durcheinanderbrachte. Bei Connors heißt Tennis Leiden, und erst wenn er am Boden liegt, wächst er zu voller Größe. So wie bei den US Open in Flushing Meadow, als er in der ersten Runde gegen Pat McEnroe zwei Sätze verloren hatte, im dritten mit 1:4 zurücklag und unter dem Jubel der Massen doch noch gewann; oder im Viertelfinale desselben Turnieres, als er gegen Aaron Krickstein an seinem 39. Geburtstag im fünften Satz mit 2:5 zurücklag und wiederum gewann.

Hlasek ließ es soweit nicht kommen. Er gab den ersten Durchgang nahezu kampflos mit 0:6 ab, schläferte das Publikum, das die Sache für gelaufen hielt, dadurch geschickt ein und vollbrachte dann ein unscheinbares Break zum 1:0 im zweiten Satz. Kein Problem, dachten die Zuschauer, kein Problem, dachte Connors, doch als beim Stande von 3:4 endlich der Jimbo-Effekt einsetzte, jeder Punkt des Amerikaners von ihm selbst und seinen Fans begeistert gefeiert wurde, war es zu spät. Connors konnte den Aufschlag des nunmehr ausgezeichnet spielenden Schweizers nicht mehr durchbrechen, und auch im entscheidenden Satz erging es ihm nicht besser. Break für Hlasek zum 2:1, das Aus für Connors — 6:0, 4:6, 4:6.

Sauer war er trotzdem nicht, die Nummer 48 der Weltrangliste aus den USA. „Ihr kennt mich doch. Ich spiele mir immer den Arsch ab, egal was passiert. Und was passiert, passiert eben.“ Für ihn sei es auch so ein grandioses Jahr gewesen. Nach seiner Handverletzung habe er nicht gedacht, überhaupt wieder Tennis spielen zu können, und als er im Februar zum erstenmal nach langer Pause auf den Platz gegangen sei, als 936. der Weltrangliste, da sei er sich vorgekommen wie ein Anfänger. „Und man hat mich auch so behandelt. Das war bitter und gleichzeitig sehr interessant.“ Viele hätten ihn entmutigen wollen und gesagt, daß es doch keinen Zweck mehr habe, und er sei sich vorgekommen, wie einer, den man in den Rücken geschossen hat und der trotzdem gutes Tennis spielt.

Dann kamen die French Open mit der Mammut-Partie gegen Chang, als er im fünften Satz aufgab und praktisch vom Platz getragen werden mußte; Wimbledon mit jenem „Volks-Sonntag“, als ihn die „wahren Fans“ feierten; schließlich Flushing Meadow, wo er sensationellerweise das Halbfinale erreichte und erst gegen Jim Courier verlor. „Ich habe zwanzig Jahre gebraucht, um dieses Gefühl zu erleben.“

An den Australian Open will Connors nicht teilnehmen. Wegen des Grand Slam Cups habe er sämtliche Projekte mit seinem „Haushalt“ verschieben müssen, so daß sie jetzt in die Zeit des Grand Slam-Turnieres von Melbourne fallen. „Es ist mir lieber, wenn ich Ärger mit dem Tennis bekomme als Ärger mit meinem Haushalt. Wer Frau und Kinder hat, wird das gut verstehen können.“ Skifahren in den Rocky Mountains und Segeln vor den Bahamas steht auf dem Programm, und dann geht es mit frischen Kräften in die neue Saison. „Mal sehen, ob ich 1992 genauso gut spielen kann wie 1991.“

Ivan Lendl, der zuvor souverän gegen den Italiener Caratti gewonnen hatte, ist davon überzeugt: „Was wollt ihr, Connors ist ein aufstrebender, guter Spieler. Er hat seine ganze Karriere noch vor sich.“

Ergebnisse vom ersten Tag: Patrick McEnroe (USA) — Thierry Champion (Frankreich) 4:6, 6:1, 6:4; Ivan Lendl (CSFR) — Cristiano Caratti 6:4, 6:1; Jakob Hlasek (Schweiz) — Jimmy Connors (USA) 0:6, 6:4, 6:4; Michael Chang (USA) — Jim Courier (USA) 6:2, 6:4.