Berliner Koalition spielt Autoquartett

Kompromiß am Potsdamer Platz: Investoren dürfen hundert Meter hoch hinaus/ CDU und SPD pokern um die Tiefen des geplanten Regierungsviertels: Autotunnel ohne Ausfahrt gegen Busspuren  ■ Aus Berlin Dirk Wildt

Über Tage scheint die Gestaltung des Potsdamer Platzes geklärt. Die Investoren dürfen jetzt fast doppelt so hoch hinaus, als ursprünglich geplant war. Die Berliner Landesregierung erlaubt Daimler Benz, Sony, Hertie und Asia Brown Boveri, einen Teil ihrer Gebäude hundert Meter hoch zu bauen. Im Gegenzug werden die Bauherren verpflichtet, statt der bisher geplanten 800 Wohnungen rund 3.000 Appartements zu schaffen und sich statt der geforderten 11.000 Parkplätze mit 4.000 Stellplätzen zufriedenzugeben.

Der ursprüngliche Entwurf für den Potsdamer Platz war auf herbe Kritik gestoßen. Die Architekten Hilmer und Sattler hatten in ihrem Modell eine Bauhöhe zwischen 35 und 70 Meter festgelegt und die Gebäude relativ gleichmäßig über den Potsdamer Platz verteilt. Der vom Senat gekrönte Entwurf erntete in den Vorstandsetagen nur Spott: Berlin sei eine Weltstadt, nicht „Posemuckel“.

Sollten sich die Investoren mit dem neuen Konzept zufriedengeben, ist der Streit um Berlins Mitte aber lange nicht beendet. Die CDU möchte den Potsdamer Platz, den Reichstag und das geplante Regierungsviertel im Tiergarten mit einem einzigartigen Geflecht von Verkehrsröhren für den Schnellzug ICE, für mehrere S- und U-Bahn-Linien und für Autos untertunneln. Die SPD will insbesondere einem Nord-Süd- Autotunnel aber nicht ohne weiteres zustimmen.

Die Sozialdemokraten spielen mit ihrem Koalitionspartner eine Art politisches Autoquartett.

Sie wollen die entscheidenden „Karten“ für einen vierspurigen Autotunnel nur dann herausrücken, wenn die CDU wiederum bei der Verlängerung des Busspurnetzes auf bis zu 250 Kilometer Länge und bei der Einführung von Tempo 30 auf mehr als der Hälfte aller Ostberliner Straßen mitspielt. Nach den Vorstellungen der SPD müsse für den Bau eines Straßentunnels aber die Entlastungstraße, die den Tiergarten bisher in zwei Teile zerschneidet, geschlossen werden. Außerdem verdächtigen die Sozis die Christdemokraten, mit ihrer langen Tunnel-Variante einen Anschluß an die im südlichen Schöneberg endende Stadtautobahn durchzusetzen. Nach Meinung der SPD-Abgeordneten müsse ein Nord-Süd-Tunnel kürzer sein, und dürfe auch keine Ausfahrt haben, da sonst der Autoverkehr doch in die Innenstadt gelockt werde.

Mit dem bisherigen Verkehrskonzept vollzieht der Senat keine deutliche Wende in der Autopolitik. Trotz des geplanten Baus des Nord-Süd- Autotunnels soll die Entlastungsstraße als Zufahrtsstraße zum Reichstag erhalten bleiben. Autofahrer dürften das Brandenburger Tor umfahren — die Straße des 17. Juni, die den Tiergarten in Ost-West- Richtung zerteilt, und die Straße Unter den Linden würde im Gegensatz zu heute zu einer der wichtigsten innerstädtischen Verkehrsachsen avancieren. Parallel soll für den „motorisierten Individualverkehr“ eine vorhandene Ost-West-Strecke ausgebaut werden. Pikant dabei: Die tägliche Blechkarawane würde mitten zwischen den Hochhäusern von Daimler, Sony und Konsorten durchziehen — sofern sie nicht im Stau steht.

Trotz dieser Autofahrer-freundlichen Planung würde der öffentliche Nahverkehr im Innenstadtbereich vier Fünftel des Verkehrs bewältigen, versprechen die Asphaltplaner aus der Verkehrsverwaltung — derzeit werden vier Fünftel aller Fahrten mit dem Auto und dem Lastwagen zurückgelegt. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, sollen zwei weitere Nord-Süd-Stollen unter der Spree hindurchgetrieben werden: eine 15 Meter tiefe Röhre für den ICE und eine weitere für eine Nord-Süd- S-Bahn. Quer dazu sollen drüber oder drunter zwei neue U-Bahn-Tunnel kreuzen. Wenn diese gigantische Baustelle unter Tage jemals fertig würde, geben die Planer zu, würden sich im Zentrum nicht weniger Autos bewegen oder stauen als heute. Der Verkehr werde so stark anwachsen, daß Bus und Bahn lediglich den zusätzlichen Verkehr bewältigen könnten. Trotz des Wahlversprechens der CDU, den »Stau aufzulösen«, plant der Senat offenbar kein staufreies Zentrum. Für wichtige Beamte und Politiker ist ein Hubschrauberlandeplatz geplant. Im Regierungsviertel an der Spree könnten täglich bis zu fünfzig Helikopter starten und landen.

Wer das alles bezahlen soll, steht in den Sternen. Alleine der Nord- Süd-Autotunnel würde eine Milliarde Mark verschlingen, die Bonn nicht finanzieren würde. »Berlin guckt in die Röhre«, hieß es aus dem Senat. Doch eine Milliarde für einen Tunnel, in dem sich die Autos auch wieder nur stauen würden, kann Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) nicht lockermachen. Und wenn, würden die „astronomischen Baukosten“ reichen, ganz Berlin mit einem modernen Straßenbahnnetz zu bedienen, protestiert der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gegen die Durchlöcherung von Berlins Untergrund.