Sicherheit nicht vergemeinschaftet

■ Bei außenpolitischen Maßnahmen bedarf es nach wie vor der Einstimmigkeit im EG-Ministerrat

Die Tinte unter dem Unionsvertrag war kaum trocken, da beeilten sich die EG-Regierungschefs schon wieder, ihre unterschiedlichen Interpretationen des mit „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ überschriebenen Kapitels an die Öffentlichkeit zu bringen. Ein triumphierender John Major verkündete, die Außen- und Sicherheitspolitik sei „nicht vergemeinschaftet worden“. Auch „weiterhin“ werde dieser Politikbereich „hauptsächlich mit einstimmigen Entscheidungen gesteuert“. Helmut Kohl sah hingegen „den Einstieg in eine beginnende europäische Außenpolitik“ geschafft und damit auch „die Möglichkeit für eine europäische Sicherheitspolitik“.

Der Vertragstext stützt eher die Interpretation des britischen Premiers. Danach „erarbeiten und verwirklichen die Union und ihre Mitgliedsstaaten eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“. Doch für „die Annahme“ konkreter „gemeinsamer Aktionen“ bedarf es nach wie vor eines einstimmigen Beschlusses des Rates der zwölf Außenminister, daß ein bestimmter „Bereich (also z.B. Jugoslawien) Gegenstand einer gemeinsamen Aktion wird“. Der Rat legt dabei auch „den spezifischen Umfang“, die „Ziele“ sowie „gegebenenfalls den Zeitraum“ und die „Instrumente einer gemeinsamen Aktion“ fest. Zunächst ist auch für diese Detailbeschlüsse Einstimmigkeit Bedingung — es sei denn, der Rat „definiert Angelegenheiten, die durch qualifizierte Mehrheit beschlossen werden“. Für den Definitionsbeschluß bedarf es der Einstimmigkeit.

Die Regierungschefs beschränkten diese Angelegenheiten, bei denen künftig auch eine Zweidrittelmehrheit ausreicht, auf die Themen KSZE, Abrüstungs- und Rüstungskontrolle, Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen sowie wirtschaftliche Aspekte der Sicherheit. Die erste Probe aufs Exempel dürfte bereits am Montag nächster Woche erfolgen, wenn die EG-Außenminister in Brüssel eine gemeinsame Linie zur Anerkennung von Kroatien und Slowenien finden wollen.

Hinsichtlich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik im engeren Sinne wiederholten die EG-Regierungschefs dieselben Formelkompromisse, mit denen auch schon der Nato-Gipfel in Rom die Widersprüche zu verdecken suchte. Die Westeuropäische Union (WEU) soll als „Sicherheitsinstrument der Gemeinschaft“ zum „integralen Bestandteil“ der Entwicklung zur Union werden und gleichzeitig „Brücke zur Nato“ sein.

Auch künftig bleibt die Nato das wesentliche Forum für die Verteidigung des Territoriums der westlichen Allianz, heißt es in einer Zusatzerklärung der neun WEU-Außenminister, die am Rande des EG- Gipfels tagten. „Die Verteidigung des Territoriums der EG-Staaten bleibt damit auch weiterhin alleinige Aufgabe der Nato“, klopfte van den Broek die niederländische und zugleich britische Interpretation dieser Aussagen fest. Für die WEU blieben noch „extrem wichtige Aufgaben außerhalb des Nato-Bereiches“. Francois Mitterrand sah hingegen in den Maastrichter Beschlüssen die „wesentliche Perspektive“ für eine von Paris favorisierte, weitgehend Nato- unabhängige gemeinsame europäische Verteidigungspolitik angelegt. Und auch Helmut Kohl konstatierte „großes Interesse“ bei einer Reihe von EG-Partnern, sich an dem als Kern einer WEU-Streitmacht gedachten deutsch-französischen Armeekorps zu beteiligen. Andreas Zumach