Tenever Spitze

■ Besuch aus den Krisenstädten Europas

Dreißig fremde Augenpaare sahen sich bis gestern vier Tage lang im Bremer Stadtteil Osterholz-Tenever um. Die BesucherInnen aus neun EG-Ländern, alle wohnhaft in kriselnden Vierteln von Städten wie Neapel und Brüssel, Eindhoven und Lissabon kamen in Osterholz-Tenever zu verblüffenden Eindrücken: „Wo ist die Krise?“ fragte sich etwa die Elsässerin Monique Hutle im bremischen „Klein-Manhattan“ sofort. Denn von dem Stadtviertel, in dem sie selbst im französischen Mulhouse lebt, ist sie Schlimmeres gewohnt: „Wir haben keine Säle für die Jugend, kein Mütterzentrum, kein Schwimmbad... Wir haben nur Blöcke.“

Die Französin war in Tenever zu Besuch in einer Familie, die von Sozialhilfe lebt. Monique Hutle anschließend: „Die Leute sind sehr reich. Sie wollen nicht unbedingt arbeiten, denn es ist einfacher für sie, Sozialhilfe zu beziehen. Das ist wie eine Droge.“

Organisiert wurde die Zusammenkunft in und über Tenever von einem Brüsseler EG-Steuerungskomitee — im Rahmen eines Austauschprogramms von 25 europäischen Städten. Überschrift: „Stadtviertel in der Krise 1991/92“. Mit von der Besichtigungspartie war auch der Ire Matt Larkin, ein Rentner und Bewohnervertreter aus dem ältesten Stadtteil Dublins. Sein Eindruck aus Tenever: „Unter den Bewohnern herrscht ein Mangel an Macht, an Beteiligung. Wenn auf 2.600 Haushalte nur sieben Einwohner-Vertreter kommen, ist das sehr wenig.

Vielleicht liegt das an dem Ghetto-Image, unter dem die Bewohner leiden.“ Aus Dublin berichtet er, dort seien die Frauen Vorkämpfer in der Mieterbewegung: „Denn die Frauen verwalten das Portemonnaie und reagieren auf die steigenden Mieten und Preise. Die Männer werden wohl erst aktiv, wenn das Bier teurer wird.“ Die Teneveranerin Monika Port, aktiv im Mütterzentrum und im Bewohnertreff, gab ihm gestern recht und bekannte: „In Tenever ist die Frauenpower noch nicht da.“ Ihr Mitstreiter vom Bewohnertreff, Klaus Scheins, nahm Teneveraner gegen die Kritik aus dem Ausland in Schutz: „Wir sind der einzige Stadtteil in Bremen, der sich Bewohnervertreter gewählt hat.“ Barbara Debus