Verschönerungsprinzipt

■ Die Mode und die Mätzchen

Blicke ich im Altwerden auf die Modelandschaft vergangener Jahrzehnte zurück, so eröffnet sich keine besonders überraschende Perspektive: Allet schon ma dajewesen.

Betrachtet man dagegen die Mode vergangener Jahrtausende, so sollte sich uns offenbaren, daß es sich um Kunst handelt. Jedenfalls sehen sich die Modemacher selbst als Künstler und erwarten, daß der eher bescheidene Rest der Welt dies ebenfalls tut. Es handelt sich um die Kunst der Verformung, ähnlich der des Beschneidens von Hecken und Bäumen, etwa so wie in den Gärten von Versailles. Keine Moderichtung hat je versucht, die natürlichen Formen des menschlichen Körpers beizubehalten oder nachzubilden. Entweder wurde er verborgen, verbogen oder bis zur Karikatur überzogen.

Der heutige Umriß des menschlichen Körpers erhält seine Wucht durch ausladende Schaumstoffschultern. Mollige Hüften werden ihm durch sanftes oder heftiges Ankrausen der Röcke oder Hosen am Taillenbund verliehen. Fällt nun die Football-Jacke oder -Bluse locker über die luftig-bauschigen Hosen oder Röcke, so ist eine vollendete Würfelkugelform erreicht, unter der zwei hurtige Füßchen — oft in spitzen Schühchen — hervorschauen.

Die Accessoires der Gegenwart: Die Handtäschchen 1989/90 hingen an langen Lederstrippen von der Schulter bis auf etwa halbe Oberschenkellänge herab, hatten die Größe eines mittleren Damenportemonnaies und konnten nichts weiter aufnehmen als einen Lippenstift und einen kleinen Taschenkamm. Die moderne rauchende Autofahrerin sah sich hier vor das Problem gestellt, wohin mit den Wohnungsschlüsseln, den Autoschlüsseln, einem Nastüchlein, Zigaretten, Feuerzeug, Personal- und Autopapieren und nicht zuletzt, wohin mit dem tatsächlichen Portemonnaie.

Die neue Damenminimalwäsche: Bei ihr hat sich das Verhältnis vom Slip zum Büstenhalter derart verschoben, daß es die Frauenbewegung um Jahrzehnte zurückwirft. Was inzwischen an dem Tanga mit der überaus hygienischen Schnur durch die Poritze beziehungsweise dem ganzen Alibifetzchen fehlt, hat sich am einstigen Büstenhalter so angesiedelt, daß er eher einem Leibchen gleicht. Noch ehe ich den Vorschlag von langen Ärmeln und Rollkragen am erweiterten Büstenhalter fertigdenken konnte, erschienen die ersten entsprechenden Modelle bereits im Schickimicki-Laden um die Ecke. Sicher war diese wärmende Vervollkommnung für den Oberkörper als Ausgleich für die durch den Tanga etwas frisch gehaltenen Nieren gedacht.

Nach vielen Jahren schlage ich zum ersten Mal wieder eine Modezeitschrift auf. Was lacht mir da vertraut entgegen? Der blanke Flüchtlingslook. Die Models sehen aus wie ausgebombt, die Kleider sind drei Nummern zu groß und schlottern um die schön-kasteiten Leiber, deren Formen als Prototyp in der Natur nicht vorkommen und dennoch darüber entscheiden, wie frau auszusehen hat. Arme-Leute-Look: Geflickt und zerknautscht, aber reinlich. Und hier der Tet zur Abbildung eines anderen Fummels auf teurem Hochglanzpapier: »Steppjacke und Paillettenrock sind im Prinzip ganz sportliche Modelle.« Ich komme einfach nicht darauf, von welchem Prinzip der oder die Texterin gesprochen hat. Sport, Pailletten und Prinzip — wer kann dies Rätsel lösen? Modetextern ist nichts heilig, zumal ihr Job der mühseligsten einer ist. Stellen Sie sich vor, Sie müßten zu acht bis zehn Fotos, auf denen ihr Auge alles gestochen scharf sieht, noch etwas hinzudichten, das bisher noch keiner gesehen hat. Zum Beispiel die Sache mit dem Prinzip. Wem fällt schon so was ein? Ich blättere weiter in dem teuren Papierprodukt und finde sehr viel von dem Zeug, was man so dringend überhaupt nicht braucht: Größer, höher, schöner, breiter — Sie wissen schon — ohrenbetäubender, giftiger. Materielle Wünsche dürfen nicht offenbleiben. Überhaupt soll der Mensch sich nach nichts mehr sehnen dürfen — oder müssen? Und so sind wir heimlich gelangweilt. Scheinbar kann diese Langeweile nur durch eine Steigerung dessen behoben werden, was wir bereits haben. Welch schönes Beispiel im kleinen: Blumen, die wir verschenken wollen, werden im regenbogenfarbiges Cellophanpapier gehüllt und mit lockigen bunten Bändern verziert, weil nämlich Blumen an sich wohl verschönerungsbedürftig sind.

Wie mag heute Mode entstehen? Vielleicht so: Heut geh'n wir ins Archiv und sehen uns an, was die Leute 1923 getragen haben, und dann mischen wir das mit 1942 auf, 1914 mit 1958; 1968 aber pur. Und so weiter. Na, kennick doch allet. Nur die Preise sind neu. Allein für ein Swingermäntelchen muß heute einer mehr hinblättern als ein anderer Stütze bekommt.

Natürlich sah ich in einer Ku'damm-Boutique ein solches Kleidungsstück. Bißchen verstaubtes, unfarbenes Braungrau; vielleicht Rattenfell. Sehr schlicht. Auf dem Preisschild stand »Swinger. Gerupfter Nerz. 28.000 DM« In Worten: achtundzwanzig Tausend. Ehrenwort. Ich lehne meinen Kopf aufschluchzend an die Scheibe. Die komischen Seiten der Mode sind vielfältig. Wirklich neu an ihr sind die Haartrachten. Dabei denke ich nicht einmal an die lustigen und schrillen Punk-Frisuren oder an den Irokesenlook. Ich meine die neuen Kartoffelfelderlocken und Rattenfraßfiguren. Dafür lassen die Leute viel Geld beim Friseur, und wenn sie rauskommen, sehen sie aus wie ein geplatztes Sofakissen.

Modeberichte im TV sind spannend und ulkig. Wichtig für die Modelle (früher Mannequins) ist, wie sie schri-schra-schreiten. Für die achtziger Jahre galt, den rechten Fuß etwas versetzt vor den linken zuerst mit dem Ballen aufzusetzen und gleichzeitig Hüft- und Schulterschwung diametral entgegengesetzt zu verschrauben. Haben sie mal versucht, auf der Straße so zu gehen, zu laufen, zu schreiten? Versuchen Sie es, und beobachten Sie dabei den Gesichtsausdruck der Passanten, die Sie dabei beobachten.

Für dieses oben erwähnte epochenvermischende Schöpfungsverfahren einer Kollektion wird ein Millionenaufwwand nur fürs Vorzeigen getrieben und eine rasende Jagd konkurrierender Modehäuser veranstaltet. Jedes halbe Jahr muß eine neue Kollektion heraus, der Aufwand muß rechnerisch wieder rein, plus Profit.

Aus einer gewissen Entfernung betrachtet, wirkt diese Hektik um ein Konsumgut, für das ein Bedarf nur durch die Bedrängungspsychologie der Werbung geschaffen wurde, faszinierend.

Gut, ich will den Modemachern nicht ins Geschäft pauken, zumal mich ihre partielle Realitätsferne rührt. Es gibt welche unter ihnen, die glauben, daß sich der Mensch qua Mode verändern möchte. Ich fürchte, da hängen sie eiem Irrtum an. Denn wie ich den Menschen bis jetzt kenne, findet er sich allgemein fabelhaft (seine quälenden neurotischen und auch normalen Schuldgefühle lassen wir hier mal ausgeklammert), er ist sich selbst das Liebste auf der Welt und möchte sich keineswegs verändern. [Warum diese neurotische Seite der menschlichen Seele ausklammern? Mode ist für mich das Kompensat für fehlende innere Veränderung. Da die Seele der Menschen in gefühlsmäßiger Hinsicht zubetoniert ist, muß sich die Mode immer schneller verändern — und angesichts der Unsummen an Geld für diesen Quatsch scheint es mir pervers, daß anderswo Millionen von Menschen hungern müssen - d.S.] Die Crux ist nur, daß er sich nicht genug geliebt fühlt. Hier ist eine der schönen Marktlücken, die die menschliche Psyche dem Profit öffnet. Diese und sich selbst nehmen die Modemacher sehr ernst. Das ist ihr gutes Recht. Im TV meinte einer, das schöne an seiner Arbeit sei, daß man sich immer wieder neu bewähren müsse. Wobei, woran, womit, wodurch überging er schweigend. Vielleicht muß man auch nicht immer alles hinterfragen. Doritt Cadura-Saf