Gnadenlose Liebe

Über Elfriede Czurdas „Giftmörderinnen“  ■ Von Annette Brockhoff

Paula träumt wie alle frauen von der liebe“, heißt es zu Anfang von Elfriede Jelineks Roman Die Liebhaberinnen, in dem sie mit sachlich grausamem Blick kleinbürgerliche Lebens- und Liebesvorstellungen zur Strecke bringt. „paula hat nichts dazugelernt seit ihren mädchentagen“, kommentiert die Autorin abschließend schonungslos den Zusammenbruch dieser Welt trivialer Fiktionen und Mythen. In Elfriede Czurdas neuem Roman Giftmörderinnen haben die Lieberhaberinnen offenbar dazugelernt. Else und Erika, zwei Frauen im Gefängnis unerfüllter Liebessehnsüchte und pathologischer Männer-, Mütter- und Schwiegermütterbeziehungen, beschließen, dem Leben ihrer Männer und damit ihrem Leiden mit wohlproportionierten Arsendosen ein Ende zu machen, denn: „Nur der entleibte Hans liebt seine Else, wie er soll.“ Ihre Frustrationen münden dabei vorübergehend in eine Phase versteckter Liebesbotschaften und lesbischer Lust. Else sendet ihre Nachrichten mittels einer Geranie, deren verschiedene Stellungen am Fenster einem geheimen Code unterliegen, Geranien-Botschaften als adäquate Kommunikationsform einer sich sprach- und substanzlos empfindenden Frau, „Flocke“, „Daun“ und „Hirn Spatz“ Else, deren Leib nichts als die Folie für täuschende Fremdbeschriftungen der jeweilig Geliebten liefern: „Elsespatzschönbistdu wie ein unschuldiges weißes Blatt Papier, auf dem ich das Wort bin“, sagt Hans, der Ehemann, der wie ein Dichter spricht, aber sonst schlimmer ist als das Tier, von dem er spricht.

Die Vergewaltigung einer Else, die über ihren Körper nicht hinwegkommt, in ihn nie hineinwächst, deren Unterleib wie ein Morast „gleich unter den Haaren“ beginnt, ist eine zweifache: sexuelle Attacke und Penetration der Wörter: „feuchte Ekel Orte. Wo es dampft und dunstet.“ Für beides gibt es keinen Riegel im Leib. Auch nicht gegen die gewaltigen Liebesverse Erikas, der von der Mutter gegängelten Freundin und zeitweiligen Geliebten: „unentwegt Liebe, die Rille... zwei Silben. Krücken der Obsession, die ein reißender Strom ist.“ Als die sohnfixierte Schwiegermutter, deren geifernde Verbitterung über vertanes Leben und tückisch „Opfer Bereitschaft“ fordernde Gegenwart sich über die „dahergelaufene“ Schwiegertochter, die „einen Mutter Sohn entehrt“, ergießt, in Zuspitzung des psychoanalytischen Modellfalls mit einem schamlosen Striptease ihres „alternden Mutter Körpers“ den Sohn zu einer regressiven Schnuller- und-Windel- Nummer nötigt, beginnt „in Elses Gedächtnis das Inferno..., bis zum Tod ein brennendes Bomben Vermächtnis“. Elses Traumatisierung erreicht ihren Höhepunkt beim Anblick eines Foto-Fetisches ihres Ehemannes, auf dem sie das operativ entstellte „Stein graue Geschlecht“ seiner Mutter identifiziert: „Bild seiner Herkunft“ und „Ort seiner Wut“.

„Bis daß der Tod“: Mit der langsamen Vergiftung der „Hanshyäne“, in gnadenloser Erfüllung ihrer Funktion als „fröhliches Dienst Leistungs Zentrum“ inszeniert, verschafft sich Else schließlich Erleichterung, die nach seinem Tod in einen Befreiungsschlag gegen das lebende und tote Inventar des „Blei grauen Hauses“ mündet, den „Abgrund von Innen Architektur“, den „Untertanen Lokus“, den „Schändungs Zoo“. Gegen die „abgeschriebene“ Plage einer Schwiegermutter, gegen die feige „Wörter-Züchterin“ Erika.

Der „Traum vom Glück“ endet für beide in einem Fiasko: Erika, der wortgewaltigen Anstifterin zur Tat, fehlt auf halber Strecke der Mut, und Else, sprachlos vollstreckendes Echo der Freundin, landet nach vollbrachter Tat, von der Schwiegermutter denunziert, im Gefängnis.

„Ein Ende“: Die Zelle wird für Else der Ort einer qualvollen Auslöschung der Einschreibungen von Gewalt am eigenen Körper, der Zeichen, der Wörter, die für eine Else „kleine Mirakel“ waren, und doch nur da, um ihre „Erschütterung als Trophäe an die Wand (zu) spicken“. Die Zelle, „ein Bauwerk, durch das keine fremde Hand führt“, ist Schauplatz des Kampfes gegen die Wort- Einbrüche, die Stimmen, die im Leibe stecken und gegen die es keinen Schutzwall gibt... außer dem der Literatur: Vom Ende her erzählt, ist der Roman die materialisierte Rekapitulation des „Lernprozesses mit tödlichem Ausgang“ (Alexander Kluge), ein Wort-Ausbruch, der seine treibende Energie aus dem erregten Präsenz einer vielstimmig- synthetischen Sprache bezieht, die Klage und Anklage, Selbstoffenbarung, -brandmarkung und Denunziation der Gewalt zugleich ist. Gnadenlos lakonisch die parataktisch gereihten Sätze, das Spiel mit Versatzstücken, den Anziehungskräften zwischen banalen, stereotypen und poetischen Sprachelementen und ihren Reibungsflächen, den Wortmonstern und „Wort Brüchen“: „Hansderkanns“ oder „Ver-sprechen bis auf den Tod“: Gegen sich selbst gewandt wird Sprache zum Gegen- Gift, zum Mittel der Ent-Täuschung und Ent-Störung, die „Wortruine“ zum Echo beschädigten Lebens.

Den Stoff, aus dem dieser Alptraum gewebt ist, hat Alfred Döblin hinterlassen, der Fall, den er schildert, ist authentisch: Ergebnis seiner Beobachtungen im Prozeß gegen zwei lesbische Giftmischerinnen, in dem es schließlich zu geradezu sensationell milden Urteilssprüchen kam. Ein Bedürfnis nach Lektüre der Vorlage entsteht aber nicht, denn Elfriede Czurdas Roman ist weder Paraphrase noch Umdeutung oder Aktualisierung, er ist so uninteressant an Recherchen und Enthüllungen wie an individualpsychologischer Motivforschung. Was Döblin als labyrinthische Motivverzweigung kühl aufzuzeichnen bestrebt ist, schießt bei Czurda in der Sprache zusammen, die „Herzensschrift“ und Inquisition der Wörter sein will. Ein strukturelles Experiment — im übrigen erster Teil einer Trilogie mit dem Titel Drei Doppelleben —, dem in der überlieferten Figuren- und Handlungskonstellation einer Täterskizze zur Entwicklung eines allgemeinen geschlechterübergreifenden Deformationsmusters zur Verfügung steht, in dem die Männer zwar entscheidend schlechter wegkommen als die Frauen, homoerotische Beziehungen als programmatische Alternative aber ebenfalls ausscheiden, weil die Gewaltverhältnisse der Liebe, die Verquickung von Liebesbegehren und Unterwerfung, in ihnen nicht aufgehoben werden können. „Nicht das Reich der Männer und nicht das der Weiber./Nicht dies, nicht jenes“, hat es bei Ingeborg Bachmann geheißen.

Die Liebe bleibt „Schatten eines Traumes“, eine imaginäre Gestalt aus dem Zauberreich der Phantasie, ewiges Versprechen der Kunst, der sie ihre Wörter entlehnt, um Scheinwelten zu errichten, die in die Katastrophe führen. Doppelleben: Das ist auch das Doppelleben der Sprache, deren verführerischen Einflüsterungen als Mordmuse und Stimme der Sehnsucht wir schließlich bei der Lektüre dieses sprachmächtigen Romans erliegen müssen.