QUERSPALTE
: Botschaftsbesetzer Honecker

■ Der alte Kommunist hat von seinem eigenen Volk gelernt

Das Besetzen von Botschaften bringt hin und wieder Glück — in jüngerer Zeit vor allem manchem Deutschen. Durch die Flucht auf ein paar Quadratmeter exterritorialen Gebietes haben Tausende junger DDR-Bürger im Sommer 1989 ihre Ausreise in den anderen Teil Deutschlands erzwungen. Haben sich über spitze Gitterzäune kopfüber in den Hof der bundesdeutschen Botschaft gestürzt, während Uniformierte an ihren Fußknöcheln hingen. Haben wie die Tiere zusammengepfercht ausgeharrt, daß endlich einmal auch ihr Wille geschehe. Und just der klapprige Diktator, vor dessen allgegenwärtiger Beklemmung sein Volk Reißaus nahm, greift heute selbst zum probaten Mittel: Er verschanzt sich in der chilenischen Botschaft in Moskau, hoffend, daß ihm das gleiche Glück zuteil werde wie seinerzeit den Menschen, die nicht länger in seinem Staat leben wollten. Ein Scherz am Rande der Geschichte.

Honecker, der fast 80jährige Kommunist, hat auf seine alten Tage noch vom Volke gelernt, wenn auch anzunehmen ist, daß die Umstände, unter denen er seiner Erlösung harrt, weit angenehmer sind. Er ist kaum mehr in der Lage, einen meterhohen Gartenzaun zu überwinden, stundenlang für eine Klostersuppe anzustehen, in überfüllten Zimmern mit anderen übereinandergestapelt so etwas wie Schlaf zu finden und sich mit Hunderten über Tage hinweg ein Klo zu teilen. Denn, wie das bei Politikern vorkommt, hat er auch heute noch den einen oder anderen Freund aus alten Zeiten. Der chilenische Botschafter, Honecker von früher gut bekannt, soll den hinfälligen Besetzer, ganz komfortabel, mit zwei Botschaftslimousinen abgeholt haben. Es gibt halt Unterschiede zwischen Staatschef und Fußvolk.

Und noch ein kleiner Unterschied: Der Anlaß der Botschaftsbesetzung ist ein ziemlich anderer, um nicht zu sagen genau umgekehrt: Während die DDR-Bürger dem Unrechtsstaat zu entkommen trachteten, will sich ihr alter Diktator jetzt vor dem Arm der Gerechtigkeit drücken. Die Begründung, die er für seine Botschaftsbesetzung angegeben hat, lautet: er werde politisch verfolgt. Denn der chilenische Staatspräsident gewährt nur Personen Asyl, die von Diktaturen verfolgt werden — und ausgerechnet auf diesem Ticket will Honecker nach Chile reisen. Obwohl man in Chile noch so tut, als käme das gar nicht in die Tüte, und obwohl in Bonn und Berlin schon wieder nach Auslieferung geschrieen wird, ist Honecker zu wünschen, daß auch er es schafft und daß auch ihm das Besetzen von Botschaften Glück bringen möge. Sabine Rückert