Von Schaltmäusen und Telekom-Männchen

■ Warum man beim Telefonieren seltsame Bekanntschaften schließen kann

Natürlich stimmt die Nummer. Sie ist zwar nur fünfstellig, aber sie stimmt hundertprozentig. 72312 steht im Notizbuch. 72312 steht auch im amtlichen Telefonbuch und 72312 sagt auch die Stimme bei der Telefonauskunft. Aber 72312 muß ein Irrtum sein, sagt die Stimme unter 72312. Hier ist nämlich 72311 und nicht Müller, sondern Huber. Herr Huber ist sehr nett: „Wissen Sie Fräulein“, sagt er nach dem dritten Anruf, „Ihre Stimme ist so geheimnisvoll. Ich wohne auch in Leipzig und ich bin momentan ganz allein. Da plaudere ich doch gern mit Ihnen. Ist denn die 72312 so interessant?“ Ich versuche ihm klar zu machen, daß es darum gar nicht geht — es ihn auch schlichtweg nichts angeht, aber ich bleibe höflich. Ich wähle ein viertes Mal, sorgsam den Finger an der Wählscheibe beobachtend, um nur ja die richtige Nummer zu erwischen. Ohne Zweifel: 72312. „Huber, sind Sie es Fräulein?“ Ich lege auf und wähle erneut und lausche in die Muschel hinein und höre ein leises Knacken, bis sich Herr Huber meldet. „Sie müssen sich nicht entschuldigen. Da ist ist bestimmt ein kleiner Mann im Kabel, der Sie immer von der 72311 zu mir schaltet.“ Ich bin nicht bereit, an irgendwelche Schicksal spielenden Männchen im Telefonnetz zu glauben, eher schon an konspirative Nummern, die nach Auflösung der Staatssicherheitzentrale der Vergessenheit anheim gefallen sind. Ein letzter Versuch, bei dem ich auf meinen Finger starre wie auf ein einständig handelndes Wesen. „Tag, Müller.“ Ich berichte meinem Freund sogleich von den Mühen, ihn zu erreichen und frage mißtrauisch nach der Vergangenheit seiner Nummer. Das sei doch absurd, das passiere doch öfters und sei in der Vergangenheit noch viel öfters passiert. Fehlschaltung. Bei den alten Leitungen, kein Wunder.

Anderntags der Versuch einer Kontaktaufnahme zu einer Dresdner Nummer. Im Bewußtsein, daß die Leitungen von Leipzig nach Dresden so beschaffen sind, als riefe man in Timbuktu an, erwarte ich heftiges Rauschen nach dem Knacken. Sodann platze ich in eine erregte Unterhaltung eines offensichtlich zerstrittenen Paares. Im Hintergrund ein Freizeichen. Die Konferenzschaltung funktioniert perfekt. Ich werde direkt angesprochen und dringend aufgefordert, aus der Leitung zu gehen. Dann meldet sich der ursprünglich Angerufene mit lautem Hallo, Hallo und beginnt, mit dem Paar zu plaudern.

Ein paar Stunden später bin ich fast geneigt, an Herrn Hubers Telekom-Männchen oder konspirative Schaltmäuse zu glauben. Gewisse Fehlschaltungen können einfach kein Zufall sein. Die Kripo hat eine feste Nummer in Leipzig. Seit Jahren. Sie hat sich auch nach der Wende nicht geändert. „Städtische Schlachterei, Grube, Sie wünschen?“ Nana Brink