Keine Klinik für die Berliner Anthroposophen?

Seit Jahren kämpft die „Initiative für ein anthroposophisches Krankenhaus“ für eine alternative Klinik/ Doch die Chancen, ein Krankenhaus im Osten Berlins zu übernehmen, stehen schlecht: Der „Hokuspokus“ stößt bei den Schulmedizinern auf Mißtrauen  ■ Aus Berlin Martin Kempe

Mit dem ursprünglich erhofften Übernahmetermin zum Jahreswechsel wird es nichts werden. Und ob es überhaupt noch klappt, ist inzwischen auch unsicher geworden: Die Gründung eines anthroposophischen Krankenhauses in Berlin droht am spannungsreichen Konfliktgemenge innerhalb der vereinigten und doch immer noch geteilten Stadt zu scheitern.

Nein, einen Kompromiß mit der Gründungsinitiative der anthroposophischen Mediziner könne er sich jetzt nicht mehr vorstellen, sagt der ärztliche Direktor des Oskar-Ziethen-Krankenhauses in der Hubertusstraße im Ostberliner Bezirk Lichtenberg, Professor Dr. Heinz Ringk. Jeder andere Träger wäre ihm lieber, denn schließlich habe man ja nicht die eine Ideologie abgeschüttelt, um sich nun einer anderen zu unterwerfen.

Vor wenigen Monaten war er sich da noch nicht so sicher. Da schien ihm vor allem wichtig, daß das mitten in einem dichtbesiedelten Altbaugebiet gelegene 400-Betten-Krankenhaus überhaupt im Krankenhausrahmenplan des Senats auftauchte, ganz gleich mit welchem Träger. Die Interessen aller Beteiligten schienen sich zu begegnen. Die seit einigen Jahren bereits in West-Berlin aktive Intitiative für ein anthroposophisches Krankenhaus konnte nach der Wende hoffen, eines der bestehenden staatlichen Krankenhäuser in Ost-Berlin in ihre Trägerschaft zu übernehmen.

Vielfalt in der Medizin

Der Senat wollte, und will, einen Teil der Ostberliner Krankenhäuser entsprechend der Westberliner Praxis in die private Trägerschaft von kirchlichen oder freien Wohlfahrsverbänden übergeben. Mit der Gründung einer anthroposophischen Klinik hätte er gleichzeitig seine Offenheit gegenüber der wachsenden Bedeutung alternativer Medizin demonstrieren können. „Die deutsche Hauptstadt braucht Vielfalt auch in der Medizin“, bekräftigte der Berliner Gesundheitssenator Luther (CDU) noch im November. Und die Beschäftigten der beiden ins Auge gefaßten Krankenhäuser, des Oskar- Ziethen-Krankenhauses und des nahegelegenen Kinderkrankenhauses Lindenhof, wären vor drohender Abwicklung geschützt gewesen und hätten eine neue berufliche Perspektive entwickeln können.

Trotz dieser günstigen Voraussetzungen sind die Gründungsaktivitäten des rund 400 Mitglieder starken Trägervereins und der 20köpfigen Initiativgruppe derzeit blockiert. Denn alle Diskussionen zwischen den Anthroposophen und den Sprechern der Ärzteschaft in den beiden Krankenhäusern haben bislang nur die gegensätzlichen Standpunkte vertieft. In beiden Krankenhäusern gibt es vor allem unter den Ärzten und Ärztinnen eine heftige Abwehr gegen die anthroposopischen Heilmethoden. Den Anspruch der Anthroposophen, eine „erweiterte Heilkunst“ zu praktizieren, empfinden sie nicht als Lernchance, sondern vor allem als Abwertung ihrer bisherigen medizinischen Praxis.

Aber gleichzeitig sind sich die Mediziner in den beiden Krankenhäusern auch untereinander nicht grün. Das ist kaum verwunderlich. Denn größer könnten die Unterschiede kaum sein. Schon rein äußerlich: Das größere Oskar-Ziethen- Krankenhaus, in der Nähe des ehemaligen Stasi-Komplexes in der Normannenstraße gelegen, unterscheidet sich schon äußerlich kaum von den heruntergekommen Altbauten der Umgebung: Dunkle, offensichtlich renovierungsbedürftige Gründerzeitbauten und wenig Grün prägen das Bild.

Auch der medizinische Ruf war — was zumindest einige Abteilungen angeht — schon zu DDR-Zeiten nicht der beste. Und nach Informationen der taz gab es nicht nur eine geographische Nähe zur Staatssicherheit: die Poliklinik innerhalb des nahegelegenen Stasi-Komplexes war eine Außenstelle des Oskar-Ziethen- Krankenhauses. Das kleinere Kinderkrankenhaus Lindenhof dagegen liegt in einem weiträumigen Parkgelände, ist in einem für Ostberliner Verhältnisse guten baulichen Zustand und war schon zu DDR-Zeiten gut beleumdet.

Deshalb hatten sich die Beschäftigten des Lindenhofs schon vor allen Diskussionen um die zukünftige Trägerschaft gegen die geplante Zusammenlegung beider Krankenhäuser gewandt — man wollte nicht mit dem unliebsamen Nachbarn identifiziert werden. Aber zusammengelegt werden die Häuser nach Aussagen des Gesundheitsstaaatssekretärs Detlev Orwat (CDU) in jedem Fall. Dadurch entstünde mit über fünfhundert Betten eine stattliche Klinik, die größer wäre als die bisher größte anthroposophische Klinik der Bundesrepublik in Herdecke am Rande des Ruhrgebiets.

Die dortige Klinik hat 480 Betten und hat sich in rund zwanzig Jahren einen Ruf als renommiertestes anthroposopisches Krankenhaus der Bundesrepublik erworben.

Natürlich war der Initiative klar, daß in Berlin mit dem vorhandenen Personal beider Kliniken nicht sofort praktiziert werden kann, was in Herdecke über lange Jahre gewachsen ist: eine andere, ganzheitliche Medizin und Pflege. Deshalb war niemals eine sofortige Umstellung der Häuser auf anthroposophische Heilmethoden geplant, sondern ein langsamer Aufbau in einigen Abteilungen. Mit rund hundert Betten in den Abteilungen Kinderheilkunde und Innere Medizin sollte begonnen und in drei Jahren auf knapp dreihundert Betten erweitert werden. Diese Planung hätte allerdings die Loyalität des medizinischen Personals vorausgesetzt.

Und so versuchte die Initiative mit den Medizinern und dem Pflegepersonal beider Häuser ins Gespräch zu kommen. Im Kongreßzentrum Lichtenberg organisierte sie Veranstaltungen, in denen sie ihr Verständnis von anthroposophischer Medizin, zur Prozedur der Übernahme der Trägerschaft, zur spezifischen Ausgestaltung der Pflege in einem anthroposophischen Krankenhaus vorstellte. Die Resonanz unter den Beschäftigten blieb eher spärlich. Ärzte und Ärztinnen fehlten fast ausnahmslos.

Alles Hokuspokus

Damit deutete sich schon an, was inzwischen offensichtlich ist: eine gütliche Übernahme der beiden Krankenhäuser durch die Anthroposophen wird es nicht geben. Auch der stufenweise Aufbau anthroposophischer Abteilungen wird abgelehnt. Nach dem Eindruck des Initiativen- Sprechers Roland Bersdorf, im Brotberuf Pressesprecher der Berliner Ärztekammer, kommt der Widerstand vor allem von den leitenden Ärzten des Oskar-Ziethen-Krankenhauses, während einige der jüngeren Mediziner inzwischen Kooperationsbereitschaft erkennen ließen.

Professor Ringk äußerte als Sprecher der Ärzteschaft am Oskar-Ziethen-Krankehaus, er sei „persönlich, menschlich und fachlich, inhaltlich“ von dem Konzept enttäuscht, das die anthroposophische Initiativgruppe vorgelegt habe. Ihren weltanschaulichen Hintergrund hält er für unwissenschaftlich und die von der Schulmedizin abweichenden Behandlungsmethoden letztlich für Hokuspokus. Als Radiologe sei er davon zwar nicht betroffen, denn auch die Anthroposophen „können den Röntgenstrahl nicht umbiegen“, aber als Arzt könne er unwissenschaftliche Behandlungsmethoden gegenüber seinen Patienten nicht verantworten. Ringk wünscht sich einen „ideologiefreien Träger“ — und da ist ihm jeder andere recht: das Rote Kreuz oder die Kirchen, am liebsten allerdings der Senat.

Initiativen-Sprecher Bersdorf führt diese Abwehr darauf zurück, daß es innerhalb der DDR keinerlei Tradition der Medizinkritik gegeben habe.

In Westdeutschland dagegen habe sich in den letzten 10 bis 15 Jahren auch im Gesundheitsbereich selbst eine breite Kritik der klassischen Schulmedizin entwickelt, ohne die der Vormarsch der Naturheilkunde, auch der anthroposophischen Medizin, kaum möglich gewesen wäre.

In Ostdeutschland, so Bersdorf, „fehlen offensichtlich noch die kulturellen Voraussetzungen“ für die Gründung eines anthroposophischen Krankenhauses. Denn natürlich könne „die antroposophische Heilkunst nur ausführen, wer sie gelernt hat“ und von ihr überzeugt sei. Diese Aussage eines Initiativen-Vertreters zitiert auch OZK-Direktor Professor Ringk — zum Beweis für die Unmöglichkeit einer anthroposophischen Trägerschaft für sein Krankenhaus.

Inzwischen ist auch der Senat nicht mehr sicher, ob die Hauptstadt auf dem bisher verfolgten Weg zu ihrer anthroposophischen Klinik kommen kann. Staatssekretär Orwat konstatierte auf einer Veranstaltung Anfang November, „beide Seiten“ hätten beim Streit um die Trägerschaft Fehler gemacht. Die Ost-Ärzte hätten ohne Sachkenntnis Stimmung gegen die Medizin im Sinne Rudolf Steiners gemacht, aber auch die Anthroposophen hätten ohne das „richtige Feeling“ für die Einstellungen und Ängste der Beschäftigten in den Kliniken verhandelt.

Im übrigen sei die Stimmung nicht durchweg ablehnend. Die Abwehr komme vor allem von den leitenden Ärzten, die um ihre Posten fürchteten.

Gegen den Willen der Mitarbeiter aber könne man anthroposophische Medizin nicht „verordnen“. Deshalb, so der Senator, müsse auch über Standorte im Westtteil der Stadt nachgedacht werden.