Chemiedreieck wird zum Milliardengrab

■ Sanierung des Chemiedreiecks Halle-Bitterfeld-Leipzig kostet 18 Milliarden bis zum Jahr 2000/ Einatmen heißt dort immer noch sich vergiften/ Nach Westvorbild: Sanieren für den Aufschwung?

Berlin (taz) — Keiner will den Menschen in Bitterfeld und Leuna ein Leben in giftiger Umgebung weiter zumuten. Sanierung lautet das Zauberwort im Chemiedreieck zwischen Halle, Leipzig und Bitterfeld — jedesmal, wenn Politiker anreisen. In Leipzig haben jetzt Experten ein Preisschild an den Traum vom etwas gesünderen Leben in Bitterfeld geklebt: Die Steuerzahler werden bis zur Jahrtausendwende rund 18 Milliarden Mark für das ostdeutsche Chemiedreieck berappen müssen — für die nötigsten Sanierungsmaßnahmen in der giftigste Ecke Deutschlands.

Die Zahlen stammen vom Leiter des Institutes für Umweltschutz und Energietechnik beim TÜV Rheinland, Eberhard Plaßmann. Der TÜV-Experte hatte die Kosten zuvor aufgeschlüsselt: Neue Kanalisationen, Klärwerke und Sanierung im Abwasserbereich kosten danach elf Milliarden Mark, für die Instandhaltung der Gewässer veranschlagt der TÜV einmalig 400 Millionen und später jährlich etwa 45 Millionen Mark. Für die Entsorgung des Siedlungsabfalls würden 2,3 Milliarden Mark benötigt, für den Sonderabfall 500 Milllionen Mark. Schließlich müßten allein für die Erkundung des „Gefährdungspotentials“ der Altlasten und erste Entsorgungsschritte bis zum Ende dieses Jahrzehnts 3,5 Milliarden Mark aufgebracht werden. „Damit ist jedoch das Sanierungsproblem der Altlasten nicht beseitigt“, betonte Plaßmann.

Bundesumweltminister Klaus Töpfer hatte im vergangenen Sommer ein ökologisches Sanierungs- und Entwicklungskonzept für die Region in Auftrag gegeben. Plaßmanns Zahlen sind ein Teil davon. Rund 2.000 Seiten stark ist die Dokumentation, in der der Region, die genauso groß ist wie das Ruhrgebiet, ihre prekäre ökologische Situation noch einmal vor Augen geführt wird. 87 Prozent der 2,1 Millionen Menschen der Region atmen Luft ein, die giftiger ist als erlaubt. In der Region wurden noch 1990 soviel Schwefeldioxid und Staub in die Luft geblasen wie in der alten Bundesrepublik.

Plaßmanns Milliarden-Rechnung klammert dabei die Kosten für den industriellen Umweltschutz noch aus. Auch private Umweltschutzmaßnahmen an Häusern, Heizungen und Grundstücken sowie die Kosten der Industrieunternehmen fehlen. Hierfür gebe es noch nicht einmal Schätzungen, sagte der TÜV-Experte. Bezahlen können das die neuen Länder nicht allein. Damit seien sie „hoffnungslos überfordert“, so Plaßmann. Den Ball nahm Sachsens Ministerpräsident, Kurt Biedenkopf (CDU), sofort auf. Die Sanierung der fünf neuen Bundesländer sei eine gesamtdeutsche Aufgabe. Die Menschen in den neuen Bundesländern dürften mit den Folgen der Nachkriegsentwicklung nicht alleingelassen werden.

Die Sanierungsmilliarden sollen natürlich auch Arbeitsplätze erhalten helfen. Offenbar gilt Nordrhein- Westfalen (NRW), das im Ruhrgebiet mit ähnlichen Sanierungsaufgaben zu kämpfen hatte, als Vorbild. Chemiespezialist Karl-Otto Henseling vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hat den Eindruck, daß in der Region NRW-Sanierungskonzepte nachgeahmt werden sollen. Doch stehe zu befürchten, daß es ohne eigenständige Forschungs- und Entwicklungspotentiale in der Region bei reinen Nachsorgekonzepten bleiben werde. Dann werde zwar der Dreck der alten Chemieindustrie so weit wie möglich beseitigt, es entstünden aber kein ökologisches Strukturkonzept und keine neuen Produktlinien auf regionaler Basis. ten