Aus Bremer Verlagen (frisch) auf den Tisch

■ Emanuel Bove / Barbara Theobaldt / Eine Dokumentation über Hilde Holger

Die große Gala der Leere

Emanuel Bove, der subtile Stilist, hat angerichtet. Alles ist vom Feinsten. Die Lokalität, ein Grand Hotel, garantiert Diskretion und den üblichen Aufwand, wenn wichtige Persönlichkeiten zusammentreffen. Innerhalb dieses wogenden Mikrokosmos an großspurigen Reden und zärtlichem Geflüster, eifriger Dienstbeflissenheit und erfolgreicher Übertreibung ist die Handlung angesiedelt. Aber die existiert so gut wie gar nicht. Vorstellungen und Meinungen, das überlebenswichtige Raunen sind von zentraler Bedeutung.

Der Schuhfabrikant Poitou richtet ein opulentes Fest aus, weil er in die Ehrenlegion aufgenommen wurde. Alle sind gekommen, um ihre ach so wertvolle Haut zu Markte zu tragen, wohlverpackt hinter den Masken der kunstvollen Verstellung. Ständig wechselnde Konstellationen sorgen für Unruhe und Irritation. Wer eben noch rhetorischer Leithammel war, ist wenig später mitleidig belächelter Statist. Und auf einmal ist die ganze Anstrengung vorüber. Erstarrt in einer finalen Photographie. Die gebeutelten Schauspieler entsteigen dem Wechselbad der Gefühle und entschwinden in die Nacht. Eine kammermusikalische Inszenierung von hoher atmospärischer Dichte.

Emanuel Bove, Menschen und Masken. Manholt,28 DM

Ungetrübte Kreativität

Frauen aus dem Dunkel des Vergessens zu holen, ist eine der Zielsetzungen des kleinen Bremer Verlages „Zeichen und Spuren“. Und wo wäre das moderne Tanztheater von Pina Bausch oder Reinhild Hoffmann ohne Hilde Holger? Eine reich bebilderte Dokumentation über den Werdegang der eigenwilligen Künstlerin schließt eine Informationslücke und ist auch für Laien interessant. Mit über achzig Jahren noch vital und voller Energie, lebt und arbeitet die „Galeonsfigur des Ausdruckstanzes“ heute in London. Dort ist sie als Choreographin und Tanztherapeutin tätig. Für sie nimmt der moderne Tanz den ersten Platz unter den Künsten ein, „denn er fördert die drei wichtigsten Persönlichkeitsstrukturen: Ausdruck des Körpers,des Geistes und der Seele.“

Vor den Nazis flüchtete sie nach Bombay und hatte nicht selten mit Vorurteilen und Repressionen zu kämpfen. Die indische Gesellschaft war nur zögernd bereit, diese Form des kreativen Ausdrucks zu akzeptieren. Nach dem Krieg wurde sie in London endgültig seßhaft und verdiente sich durch zahlreiche Aufführungen als Solistin und Leiterin eines Ensembles die Anerkennung, die ihr zukommt.

Die Kraft des Tanzes — Hilde Holger — Wien-Bombay-London. Zeichen und Spuren, 38 DM

Die Eroberung der Straße

Am 15.September 1990 war es endlich soweit. Dumpfe Trommeln, lästerliche Gesänge, Lumpenpack mit Masken auf dem Gesicht: Ein gespenstischer Zug besetzt den Bremer Marktplatz. Huren, Bettler und Vaganten erobern sich für kurze Zeit das Recht zum ausgelassenen Feiern. Der grelle Mummenschanz des Mittelalters setzt nicht wenige Passanten in angespanntes Erstaunen. Immer noch die Frage auf den Lippen, was das denn bedeuten soll, werden sie schon in ein schaurig-schönes Spektakel gerissen. Nach langen, mitunter ermüdenden Proben, hatten die rund siebzig Mitglieder des Straßentheaters mit ihrem Stück „Der Krüppel von Bremen“ Premiere. Zwei historische Begebenheiten dienten als dramaturgische Vorlage. Die Sage um den Krüppel, der die „Bürgerweide“ auf wundersame Weise erkämpfte und der Aufstand der 104. Das Stück baut voll auf Sinnlichkeit, Aktion und Rhyhthmus. Diese Kräfte vermittelt auch das liebevoll gestaltete Buch über die Entstehung des Projekts. Eine subjektive, reich bebilderte Dokumentation. Die Stimmen der Beteiligten beleuchten jeweils unterschiedliche Aspekte des Theatermachens unter den Bedingungen von Eigeninitiative. Probleme werden dabei nicht außen vor gelassen. Dennoch: es scheint, als hätten Laien ungeahnte Energiereserven.

Barbara Theobaldt (Hrsg.), Der Krüppel von Bremen, Theater auf der Straße. Donat-Verl., 24,80.-

Per Hansen