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Bremen — Schlaraffenland für Straftäter?

■ „Kriminalität steigt überdurchschnittlich — Bremer Polizei kann Auftrag nicht mehr nachkommen“

„Kriminalität wird bei der Bremer Polizei weitgehend nur noch verwaltet. Wir können unseren gesetzlichen Auftrag nicht mehr erfüllen.“ Solche markigen Sätze sprachen gestern nicht die Law- and-Order-Männer der CDU, sondern Funktionäre der „Gewerkschaft der Polizei“ (GdP). Auch den Satz „Bremen ist ein Schlaraffenland für Straftäter“ würden sie ohne weiteres unterschreiben, sagten gestern auf Nachfrage sowohl der Vorsitzende der Bremer Polizeigewerkschaft Hans Schulz als auch der Personalratsvorsitzende der Schutzpolizei, Manfred Oppermann. Ein Beispiel für die nicht mehr stattfindene polizeiliche Aufklärung präsentierte Jürgen Asche, Personalratsvorsitzender bei der Kriminalpolizei: „Zwischen der Kripo und der Staatsanwaltschaft schwirren tausende von unbearbeiteten Vorgängen hin und her. Wenn die Akten ein halbes Jahr unbearbeitet bei der Kripo rumliegen, werden sie zur Staatsanwaltschaft weitergegeben. Und umgekehrt...“ Das betreffe vor allem Delikte der Wirtschaftskriminalität. Zudem hätten 1.295 Tatorte nicht vom Erkennungsdienst aufgesucht werden können.

Und Schutzpolizist Oppermann führte an: „Es gibt Null Prävention. Fußstreifen gibt es praktisch nicht mehr: 70 Prozent der Reviere können nicht mehr einen Mann auf die Straße bringen, weder im Frühdienst, noch im Spätdienst, noch im Nachtdienst.“ Der Krankenstand liege bei seinen Kollegen teilweise bei 15 Prozent, viele seien in psychiatrischer Behandlung. Der Personalratsvorsitzende der Wasserschutzpolizei stimmte in das Klagelied mit ein, mit 47 Jahren gehöre er dort zu den jüngsten Kollegen, ohne Nachwuchs könnten viele Aufgaben auf hoher See nicht mehr erfüllt werden. Sein Fazit: „Die Dinosaurier werden immer trauriger“.

Die Gewerkschafter prophezeiten vor der versammelten Presse, daß 1991 erstmalig mehr als 100.000 registrierte Fälle von Kriminalität in Bremen zu verzeichnen sein würden. Die Steigerung gegenüber l989 betrage damit 23,37 Prozent. Im Vorjahr 1990 hatte die Gesamtzahl der registrierten Verbrechen und Vorfälle noch weit unter 100.000 bei 84.779 gelegen. Während aber auf der einen Seite die Kriminalität rapide zunehme und das Personal der Polizei nicht mitwachse, gehe auf der anderen Seite die Aufklärungsquote zurück: von 32 Prozent (1990) auf 26,3 Prozent (1991). Da erfahrungsgemäß bei rund 20 Prozent der Fälle die Täter „mitgeliefert“ würden, betrage die reale Aufklärungsquote nur noch sechs Prozent. „Das ist fast ein Freibrief für Straftäter in Bremen“, steht in dem entsprechenden Papier der Polizei-Gewerkschafter. Der überdurchschnittliche Anstieg der angezeigten Kriminalität in Bremen könne nur so erklärt werden, daß Täter um die Ohnmacht der Polizei und die Liberalität der Rechtsprechung in Bremen wüßten, analysierte der GdP-Landesvorsitzende Hans Schulz. Mindestens 300 BeamtInnen müßten dringend neu eingestellt werden.

Hans Schulz machte auch keinen Hehl daraus, daß ihm und seinen Kollegen in Polizeiuniform eine große SPD/CDU-Koalition in Bremen lieber gewesen wäre. Das Papier der Ampel-Koalitionäre bestehe in punkto Innere Sicherheit nur aus „Worthülsen“, monierte er. Keine einzige zusätzliche Stelle sei der Polizei darin konkret zugesagt. Außerdem käme es schon bald zur Nagelprobe mit den Grünen, denn die Räumung des besetzten Hauses in der Grünenstraße stehe an.

Friedrich van Nispen (FDP), gestern den zweiten Tag Innensenator, zeigte sich wenig begeistert über die vollmundigen Polizeigewerkschafter: „Das Rechtsgefühl der Bürger hat schon Schaden gelitten, und in dieser Situation noch eins drauf zu setzen, ist unseriös.“ Bereits „in Kürze“ werde es zu Neueinstellungen kommen. Auch wolle er die Zahl der Auszubildenden erhöhen und das Stadtamt, wie ihm unterstellt, keineswegs zerschlagen. Van Nispen: „Schulz betreibt das Geschäft der CDU. Ich werde in der Grünenstraße die Konfrontation nicht herbeiführen und eine vernünftige Lösung suchen.“ B.D.

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