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Ein harter Kunde

■ Ivan Lendl trifft heute im Halbfinale des Grand Slam Cups auf Michael Chang

München (taz) — Hätte der ewige Tschechoslowake Ivan Lendl vor sieben Jahren in einem Anfall kommunistischer Gefühlsduselei beschlossen, Sowjetbürger zu werden, wäre er bei ähnlichem Verlauf der Dinge zu guter Letzt nicht Staatsbürger, sondern bloß Bürger ohne Staat geworden. Doch Lendl ist eher der kapitalistischen Moral und Weltanschauung zugeneigt, also entschied er sich, um den Paß der USA nachzusuchen und wartet seither geduldig Jahr um Jahr, daß ein barmherziger Behördenvertreter ihm endlich seinen Herzenswunsch erfüllen möge.

Die Chancen stehen nicht schlecht. Die Unabhängigkeitsbewegung in Idaho steckt noch in den Kinderschuhen, die Sezessionisten von Oklahoma kommen nicht recht in die Pötte, die Initiative für die Wiedervereinigung von Texas mit dem Staate Mexiko berät noch über Grundsatzfragen, die Volksmiliz von Milwaukee hat Ladehemmung und die ethnischen Konflikte in New York City zwischen Little Italy und Chinatown gehen noch nicht über jenes Maß hinaus, das während der Prohibitionszeit fetsgelegt wurde. Gute Chancen für Ivan Lendl, einen weitgehend intakten Staatenverbund vorzufinden, wenn er eines Tages tatsächlich Bürger der USA werden sollte.

Auch wenn dies, wie er eifrig glaubt, im April 1992 der Fall sein sollte, im Davis Cup wird er vermutlich nie für die USA spielen. „Dieser Zug ist wohl abgefahren“, gesteht der Mann aus Hartford/Connecticut ein, „es gibt so viele junge Spieler, die hervorragend sind.“ Bitter für Lendl, der findet, daß es „Grand Slam und Davis Cup sind, die den Tennis ausmachen“. Trösten kann er sich damit, daß er den nationalismusgeschwängerten Pott schon einmal gewonnen hat, 1980 mit dem CSSR- Team. Seine Obsession jedoch sind Turniere, bei denen er noch nie siegte, Wimbledon natürlich, und auch der Grand Slam Cup von München.

„Ich möchte meinen Namen in der Siegerliste haben, könnte ja sein, daß es mal ein bedeutendes Ereignis wird“, denkt er voraus. Für Spieler wie Courier, Krickstein und viele andere, die über den ungünstigen Termin des Turniers lamentieren, hat Lendl nur kalte Verachtung übrig. „Keiner wird gezwungen, hier zu spielen. Wenn sie Ferien machen wollen, dann sollen sie das tun. Aber mir scheint ohnehin, daß diejenigen, die am meisten über zu wenig Urlaub jammern, die sind, die als erste losrennen und Schaukämpfe spielen, wenn sie mal frei haben.“

Für Lendl, der sich wie kein anderer Tennisprofi um seine körperliche Fitneß kümmert, ist Urlaub ohnehin kein Thema. Ferien seien allenfalls für die Psyche da, weil man nicht ständig unter Druck stehe, das physische Training müsse jedoch weitergehen. „Jede medizinische Abhandlung über das Thema besagt, daß es besser ist, die Kondition kontinuierlich aufzubauen. Wenn du drei Wochen gar nichts tust und dann anfängst, hart zu trainieren, ist die Verletzungsgefahr sehr groß.“

Er selbst könne sowieso nicht stillsitzen. „Ich muß mich immer bewegen, wenn ich nicht Tennis spiele, dann Eishockey, Basketball, oder ich fahre Ski.“ Bei der Frage, wann er das letztemal drei Tage lang gar nichts getan habe, muß Lendl weit zurückdenken. „Das muß gewesen sein, als ich noch bei meinen Eltern wohnte und sie mir drei Tage Stubenarrest aufgebrummt haben.“ Lendls Ferien sind die Wettkämpfe. „Wenn ich Turniere spiele, ist das überhaupt nichts dagegen, wie ich mich auf sie vorbereite. Es ist die reinste Erholung für mich.“

Ausgiebig erholen kann er sich nach seinem mittelschwierigen Viertelfinalsieg gegen den Connors-Bezwinger Hlasek heute gegen Michael Chang, der Patrick McEnroe keine Chance ließ. Lendls Erinnerungen an Chang sind nicht die besten, seit ihn die Vorhand Gottes, krampfgeplagt und inspiriert, im Achtelfinale der French Open 1989 älter aussehen ließ, als er je sein wird. Aber auch Chang hat großen Respekt vor seinem künftigen (?) Landsmann: „Ich habe einen hohen Berg zu erklimmen. Ivan ist immer ein harter Kunde.“ Matti Lieske

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