KOMMENTARE
: Erich, versteck' dich

■ Die Meute lauert auf die Abschiebung Honeckers aus Moskau

Der letzte Botschaftsflüchtling der DDR, Erich Honecker, kämpft einen aussichtslosen Kampf gegen seine Abschiebung in die Bundesrepublik. Während Gorbatschow und Jelzin gestern in Moskau nochmals über das Schicksal des prominenten Asylsuchenden berieten, tropft hierzulande schon der Speichel von den Kiosken. „Komm raus, Feigling!“ höhnte die 'Bild‘-Zeitung. Keine Frage: Wenn Honecker tatsächlich abgeschoben wird, und alles deutet darauf hin, dann wird er die Bundesrepublik als Inkarnation des Teufels betreten. Niemals zuvor seit Ulrike Meinhof und Andreas Baader ist einem Menschen eine derartige Welle von Haß und Verachtung entgegengeschlagen. Honecker wird zum Fußabtreter der Nation.

Schon lange geht es nicht mehr um den tatsächlichen Schuldanteil des früheren SED-Chefs. Es geht darum, des Schuldigen für alles endlich habhaft zu werden und ihn zur Steinigung freizugeben. Im Mittelalter wurden besonders perfide Verbrecher dadurch bestraft, daß man sie an die Hauswand nagelte. Dann konnten die Massen an ihnen vorüberziehen und ihr Mütchen kühlen. Dasselbe wird mit Honecker geschehen. Er wird zum Über- Sündenbock und damit zur großen Entlastungsfigur für Hunderttausende (oder Millionen?) Stasi- Spitzel und Duckmäuser, für die Träger von Blauhemden und Winkelementen, für die halbe Ex- DDR. Je stärker die Mutlosigkeit und Depressionen angesichts der neuen Probleme sind, je schlimmer die eigenen Altlasten auf die Seele drücken, umso hemmungsloser wird man dem greisen Kommunisten ins Gesicht spucken.

Wer angesichts der kollektiven Honecker- Hysterie noch einen fairen Prozeß gegen den Ex- Generalsekretär erwartet, der hat mehr als nur Gottvertrauen. Aus dem Prozeß ist schon jetzt ein Tribunal geworden, eine öffentliche Hinrichtung. Bei solchen Aussichten darf man sich nur eines wünschen: Honecker möge sich gut verstecken oder sich auf ein paar Jährchen in der chilenischen Botschaft einrichten. Dann müßte die speichelleckende Meute hierzulande weiter im eigenen, übelriechenden Saft schmoren. Solange, bis ihnen Honecker plötzlich doch noch erscheint: beim täglichen Blick in den Spiegel! Manfred Kriener