GASTKOMMENTAR
: Outing als Verzweiflungsschrei

■ In den jetzigen Zeiten brauchen wir mutige, offene Schwule

Nun stelle man sich vor, daß ich über 20 Jahre lang die schwule Sache nur vertreten habe aus reiner Publicitysucht, reiner Eitelkeit und persönlicher Bereicherung. Tatsache ist doch, daß ich mit meinen vielen Filmen, Aktionen, Diskussion mitgeholfen habe, das schwule Leben im Land zu verändern. Das können mir auch meine ärgsten Neider nicht nehmen. Die schwule Szene in Berlin ist so schrecklich untereinander zerstritten. Das Reizklima der Stadt läßt wenig Solidarität, Gemeinschaftsgefühl und kaum Trauerarbeit zu. Da ist es geradezu notwendig, daß es auch einsame Wölfe gibt, die aufheulen.

In dieser vergifteten Atmosphäre untereinander haben wir mit Aids zu kämpfen, mit Gewalt gegen Schwule, mit den immer stärker werdenden konservativen Kräften. Aber die meisten Schwulen reagieren passiv und verängstigt. „Outing“ ist da ein Verzweiflungsschrei in einer desolaten Situation. Wir brauchen die Hilfe von Prominenten, die uns zeigen, daß wir nicht allein sind. Wir brauchen die Presse, die über Schwule nicht nur berichtet, wenn sie ermordet werden. Wir brauchen positive Leitbilder, auch wenn es ein Schlagersternchen ist. Natürlich hat der normale Schwule Angst vor dem Outing, denn es könnte ja auch ihm am Arbeitsplatz passieren, wo er sich so sicher getarnt fühlt. Ich denke, diese Zeiten sind vorbei. Wir brauchen mutige, offene Schwule. Aber da dies ein Wunschtraum ist, müssen wir alle ein bißchen nachhelfen. Was hat denn ein Biolek zu verlieren? Statt in einem Talk mit Aidskranken zu sagen: „Sie als Homosexueller“ kann er doch unendlich viel für die Schwulen in der Öffentlichkeit tun.

Man darf nicht unterschätzen, was es psychisch für viele Millionen Homos im Land bedeutet, wenn sie durch das TV geadelt werden, wenn sie von einem beliebten und erfolgreichen Mann erfahren, daß jemand auf ihrer Seite ist und ihnen Mut macht zu ihrem persönlichen coming out. Eine große Münchner Zeitung schrieb: „Hape Kerkeling, wir Münchner lieben Dich“, nachdem er sich als Schwuler bekannte. Einen Imageverlust, wie viele befürchten, wird es nicht geben. Im Gegenteil. Mut zahlt sich meistens aus. Jetzt sind die anderen dran, sich zu bekennen. Die Sympathieträger zuerst, denn wir brauchen ein positives Image. Aber besonders die, die sich gegen die eigene Sache richten, um sich besser zu tarnen. An alle Schwulen in CDU und SPD sollten Postkartenaktionen organisiert werden, damit sie sich zuerst für die Abschaffung des 175 einsetzen und gegen die Kürzung der Aids-Hilfen.

Wir leben in einer Demokratie und müssen selbst unseres Glückes Schmied sein. Ich mache mich gerne zum Buhmann der Nation. Ich bin groß und stark und kann es vertragen. Ich lasse mich gerne beschimpfen, wenn es einer Sache dient, auch wenn es gleichzeitig meine eigene ist. Rosa von Praunheim

Der Autor lebt als Filmemacher in Berlin und New York.